OCR
LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE Die deutsche Friedensbotschaft des Ungarn Radnóti lebte nach dem FühmannBand von 1967, an Wirkungsbreite und -tiefe stándig zunehmend und sich stets erneuernd, fort. Sie ließ Fühmann nicht nur die Vergangenheit bewältigen, sondern verhalf ihm, nach Zeugnissen der Zweiundzwanzig Tage, auch noch zu einem differenzierten Gegenwartsverständnis. Angesichts der Eskalation des Vietnamkrieges fielen ihm z. B. seine Radnöti’schen Metaphern aus der Zweiten Ekloge und aus dem Gedicht Ich kann nicht wissen ein, und bei einer Reihe von Vergleichen der veränderten Zeiten und dem Ermessen der erhöhten Gefahren für die Menschheit durch den modernen Krieg zog er mit poetischen Maßstäben des ungarischen Dichters die anregenden neuen Schlussfolgerungen der neunzehnhundertsiebziger Jahre über Krieg und Frieden. Bilder der Zweiten Ekloge kommen in den Fühmann’schen Gedanken auf, wenn er z.B. schreibt: Nicht nur der Mensch geht in die Maschine, auch die Maschine geht in den Menschen über, und in dem Maße, in dem der Bombenwerfer sich mechanisiert, vermenschlicht sich der Mordapparat und wird zum leibhaftigen Gefährten. Was allerdings auch Radnöti nicht voraussehen konnte, war die neue Qualität der Automatisierung des Genocids, der Schreibtischtäter am Schreibpult [...]*° Die aufkommenden Parallelitäten und Gegensätze zu den poetischen Bildern des Ich kann nicht wissen sind in der Fortsetzung noch spannungsvoller geladen: [...] diese Piloten und Bombenwerfer sahen wenigstens noch das Land als Messtischblatt, während die Bombardierer Vietnams nur mehr das Messtischblatt als Land sehen. Diese Umkehrung ist eine Mutation (wie bei der Habichtsstrafe: Trennung von Täter und Tat, von Verbrecher und Verbrechen). Bei Radnöti ist diese Trennung noch nicht vollzogen, darum ist sein Bombenflieger so etwas wie ein Fliegender Holländer des Luftmeers, ein technisierter Ahasver. Sein Bombenflieger schläft noch schlecht; die Mörder heute schlafen ruhig ...°° Und die letzte Schlussfolgerung über Krieg und Frieden, gelenkt über die Metaphern von Radnöti, enthält bereits angesichts der möglichen „Ermordung der Erde“ die Problematik tagespolitischer Auseinandersetzungen und Ziele der jüngsten Gegenwart, mit der „quälenden“ Frage, ob der Dichter hierzu noch etwas tun könnte: „Was Radnöti auch nicht vorhersehen konnte: die Ermordung der Erde. In Vietnam wird Erde gemordet, das Land, der Urgrund des Lebens...“ ® Fühmann, Zweiundzwanzig Tage, S. 42. 50 Ebd., S. 43-44. + 260 +