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DIE FRIEDENSBOTSCHAET DES MIKLÓS RADNÓTI — DEUTSCH

Und dies ist kein Widerspruch, sondern eine bewusste Entgegensetzung von
Außenwelt und innerer Überzeugung, von tagespolitischen Schrecken und
innerer Zuversicht, von erlebter barbarischer Gegenwart und ersehnter hu¬
maner Zukunft. Es ist ein Gegensatz, von dem die ganze Dichtung Radnötis
getragen wurde, dessen Spannungen jedoch eine nahezu klassische Ausgewo¬
genheit vermitteln. Was man bis heute in Radnötis Lyrik zwischen 1933 und
1944 bewundert, ist vor allem gerade diese künstlerische kathartische Aus¬
gewogenheit seiner poetischen Strukturen. Zu Aussagen und Bildern der grau¬
enhaften Erlebnisse und Visionen von Gewalt, Mord, Krieg, Untergang, Zer¬
störung und Zersetzung findet er fast ohne Ausnahme den jeweiligen
„thematischen Kontrapunkt“” mit Zukunftsglauben, mit persönlichem Be¬
kenntnis zum eigenen humanen Verhalten, die nie aufgegeben werden, und
vor allem und immer wieder mit vielfach variierten Bildern und Metaphern
des Friedens, für die sämtliche Mittel der Poesie aufgeboten werden. Denn in
der Dichtung von Miklös Radnöti konstituieren die ununterbrochen wirkenden
Wechselbeziehungen zwischen individueller Harmonie und gesellschaftlicher
Zukunftsperspektive sowie ihre mannigfaltig ineinander fließenden und ein¬
ander potenzierenden Korrelationen stets Friedensideen verschiedenster Art
und gegenständlicher Beschaffenheit, so wie ihnen im poetisch-metaphorischen
Gewebe des jeweiligen Radnöti-Gedichtes gerade die Funktion der Auf- oder
Entladung der gegenwartsbedingten Spannungsfelder zukommt.

Die Variationsmöglichkeiten, mit denen der Dichter umgeht, scheinen dabei
im jeweiligen thematischen Kontext wie lyrische Aussagestrukturen überhaupt
unerschöpflich zu sein. Die Friedensthematik und -metaphorik spannt sich vom
inneren Frieden durch menschliches Verhalten über das Friedens- und Harmo¬
nieerlebnis in der Liebe, der Freundschaft, der Ehe, der Natur, der Vaterlands¬
liebe bis zum breiten Kreis der direkten Stellungnahmen gegen Krieg und Dikta¬
tur und für eine menschenwürdige Gesellschaft in der Zukunft. Den
Aussagewert vom Frieden qualifiziert dabei immer sein poetisch-ästhetischer
Stellenwert im Gedicht (vom Kontext, von sonstigen Gehalts- und Formstruktu¬
ren ist er nie unabhängig!) und nicht irgendein quantitatives Ausmaß der Frie¬
densthematik (z. B. wie viele Menschen sie umfasst) noch ihr ebenfalls quantita¬
tiver Umfang im Gedicht (z. B. wie viele Zeilen dem Frieden gewidmet sind!).
Der kurze Halbvers im Tone des Nibelungenliedes „friedlich die Bienen sum¬
men“ enthält im Gewaltmarsch!' mehr Spannungen und einen unvergleichbar
höheren Aussagewert vom Frieden, als wenn der Dichter gegen eine ganze
Kriegsmaschinerie schmetterte oder eine Reihe von staatsmännisch weisen
Friedenspräliminarien zusammenreimte. Die hohe inhaltliche Aufwertung die¬
ses Bildes ist im Gewaltmarsch ausschließlich seiner künstlerischen Einfügung

° Zur ungarischen Anwendung dieses Begriffs siehe Anm. Nr. 25. im Kap. „Kosmische Metaphern
der verlorenen Zuversicht ...“
1° Radnöti, Miklös: Gewaltmarsch [Eröltetett menet]. In: Ansichtskarten, S. 89.

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