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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE

Radnötis Lyrik trat um 1933 ein, als ihm nach persönlichen Erfahrungen - z.B.
wurde gegen ihn ein Prozess wegen eines seiner Gedichtbände angestrengt —
und bewundernswürdig klarsichtigen gesellschaftshistorischen und weltpoli¬
tischen Erkenntnissen die anakreontische Idylle und die stürmerisch-drän¬
gerische Ausgelassenheit nicht mehr vertretbar zu sein schienen. Die poetische
Bilanz jener kurzen 3-4 Jahre lautete im Gedicht Wie der Stier“ folgender¬
maßen:

So lebt ich mein Leben bis jetzt wie ein junger Stier

der unter gefallenen Küh’n in der Mittagshitze

sich langweilt und rennt durch das Rund, seine Kraft zu verkünden
und wehn lässt dabei eine schaumige Fahne aus Speichel.

Er schüttelt den Kopf, und er dreht sich und an seinen Hörnern
verdichtet die Luft, birst, und unter den stampfenden Hufen
zerspritzt das gepeinigte Gras auf der stöhnenden Weide.

Mit dem einleitenden „so lebt ich“ wurde aber all die ungehemmt überschäu¬
mende Lebenslust der ersten Jahre trotz ihrer sprachlich virtuosen Vergegen¬
wärtigung im dithyrambischen Schwung der früheren ungebundenen Rhyth¬
men, Verse und Strophen ein für allemal in die unwiederbringliche
Vergangenheit gesetzt und für immer verabschiedet. Mit dem anschließenden
„so leb ich“ tritt die strukturelle Zäsur in das Gedicht ein:

So leb ich auch jetzt wie der Stier, jedoch

wie ein Stier, der stutzend einhält auf der Grillenwiese

und in die Lüfte aufwittert. Er fühlt, dass da droben im Bergwald
der Rehbock im Laufe verharrt, lauscht und mit dem Windhauch
wegspringt, der in die Nüstern ihm bläst, dass Wolfsrudel nahen -;
aufwittert er, doch er flieht nicht, wie Rehe scheu flüchten,

er stellt sich vor, dass er, wenn die Stunde einst da ist,

kämpfen und falln wird und dass seine Knochen die Horde

über die Landschaft verstreut, und er brüllt durch die brodelnden Lüfte.

Die Metaphorik dieses zweiten Teiles wird Träger eines unumgänglich gewan¬
delten Verhältnisses zur Wirklichkeit. Die früher lodernde Leidenschaft glüht
nur noch in den Versen. In die Stimmung hemmungsloser Ausgelassenheit
schneidet plötzlich mit Eiseskälte aufkommende Angst vor der Ungewissheit
ein. Das rasende Tempo des Gedichtanfangs gerät ins Stocken, und mit den
Verben „einhält“, „verharrt“, „lauscht“, „flieht nicht“ usw. kommt das Gedicht
nahezu zum Stillstand — in wenigen Zeilen höhere Spannungen verdichtend,

* Radnöti, Miklös: Wie der Stier [Mint a bika]. Ebd., S. 20.

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