LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE
Die lyrischen Liebesbekenntnisse von Árpád Tóth verdeutlichen seit der Welt¬
kriegslyrik — so etwa wie in Endre Adys letzten sogenannten Csinszka-Ge¬
dichten — die Flucht aus der entstellten Wirklichkeit in die Geborgenheit er¬
sehnter Harmonien, mit den Worten des Dichters
[...]
Um unter Seufzers Lallen
In deinen Schoß zu fallen.
Mag Stille uns umkreisen.
Wieg Waise mich den Waisen.
[...}6
Die antithetische Funktion solcher Liebesbekenntnisse sind auch unter litera¬
turhistorischen Aspekten bedeutend. In den zwanziger Jahren wird es zu einem
Grundmotiv Töth’scher Lyrik, später widerhallt es mit höchster Intensität in
einer Reihe von Attila Jözsef- und Radnöti-Gedichten.
1923 entstand das vielleicht bekannteste Liebesgedicht von Ärpäd Töth
unter dem Titel Abendlicher Strahlenkranz. Die zart gewebten Bilder ideali¬
sierter Liebesgefühle, ihre „friedliche Stille“ vermitteln Harmonieempfindun¬
gen wie kein anderes Gedicht aus dieser Zeit. Sie stehen im krassen Gegensatz
zum lyrischen Umfeld, im gleichen Jahr entstand ja das Gedicht kältester
Vereinsamung Von Seele zu Seele. Welch anderen Stellenwert hier nun das Bild
„ferner Sternenhimmel“ hat! Das Gedicht wurde von Günther Kunert und
Stephan Hermlin ins Deutsche übertragen.’
Im gleichen Jahr veröffentlichte Ärpäd Töth auch jenes Gedicht, an dem
Ungarns Gymnasialschüler Jahrzehnte hindurch praktisch erfahren sollten,
was eigentlich poetischer Impressionismus sei. Ein Morgen auf dem Ring ist
ein Großstadtgedicht typisch Ärpäd Töth’scher Prägung mit einem an sich
belanglosen Thema: Die Finsternis der Nacht geht im Zentrum der Stadt in
den Tag über. Man beachte jedoch was alles und wie mit der ineinander flie¬
ßenden Licht- und Farben- und Tontechnik zwischen dem ersten und dem
letzten Wort des Gedichtes, zwischen „Blind“ und „Sonne“ geboten wird, — von
dem „schmutzigen Grau“ über das lustige Lied der Farben bis zum schrillen
Ton der Straßenbahn, bis zum Ruf des Tages nach Schweiß und Nüchternheit.
Das Schöne, das Harmonische ist im Übergang begriffen, nur das noch men¬
schenlose Dazwischen enthält in der befremdenden Großstadt Momente des
26 Tóth, Árpád: Seltsames Reimespiel [Rimes furcsa játék]. Übers. v. Heinz Kahlau. In: ebd., S.
12f.
27 Téth, Arpad: Abendlicher Strahlenkranz [Esti sugärkoszorü]. Übers. v. Günther Kunert u.
Stephan Hermlin. In: Töth, Abendlicher Strahlenkranz, S. 50.