VERSUCH EINES PORTRATS DES ROBERT GRAGGER
Der grundlegende Gedanke bei der Errichtung des Ungarischen Instituts soll fol¬
gender sein: Es soll in weit größerem Maße, als es dem ungarischen Seminar mög¬
lich ist, allen denen — sowohl Studenten und Gelehrten wie auch Praktikern — die
sich mit dem Studium Ungarns, sei es aufsprachwissenschaftlich-geschichtlichem,
aufrechts- und staatswissenschaftlichem oder aufliterarisch-künstlerischem Ge¬
biet, befassen, dank seiner großen Zentralisation gute Grundlagen bieten.”
Eine Art Hungarologisches Zentrum, wie man mit dem neuen Terminus heute
jene Institution an der Universität in Paris? z. B. zu nennen pflegt, ist auf
diese Weise mit dem betont vielseitigen, multidisziplinären hungarologischen
Profil entstanden. Im Manuskript der gleichen Rede wurden jedoch die folgen¬
den Worte gestrichen: „Ferner sollen die ungarischen Studenten durch das
ungarische Institut nach Berlin gezogen werden. Es hat der ungarischen Jugend
immer nur zum Besten gereicht, wenn sie für einige Jahre in die heilsam-straffe
Geisteszucht des deutschen Universitätsbetriebs kam."
Diese Worte wurden wahrscheinlich nicht nur gestrichen, sondern auch
nicht gesprochen. Wenn nämlich das Institut bereits zwischen 1917 und 1923
manche Studenten aus Ungarn empfing, so musste der Erfüllung dieser Auf¬
gabe eine andere Institution nachkommen, um die Brücke der Kultur zwischen
Deutschland und Ungarn auch von jenem anderen Ende zu eröffnen. Diese
neue Institution war das Collegium Hungaricum Berolinense, mit dem Robert
Gragger seine organisatorischen Anstrengungen in den Jahren 1923/24 und
seinen Ausbau kurz vor seinem frühen Tod im November 1926 vollendete.
1924/25 wurden erst zehn Ungarn im Collegium aufgenommen, in den kom¬
menden Jahren konnte ihre Zahl auf 50-60 steigen. Von ihnen berichtete Janos
Barta in seinem bereits zitierten Rückblick auf das Studienjahr 1925/26 mit
den folgenden Worten:
Die Zusammensetzung der Kollegiumsmitglieder war gemischt: lauter Leute mit
Hochschulabschluss, Ärzte, Chemiker, Geologen, Mathematiker. Ich war in jenem
Jahr der einzige, der sich mit ungarischer Literatur befasste. Wie hielt er diese Ge¬
sellschaft zusammen? Locker. [...] Wer nicht von einer humanistischen Disziplin her
kam, besuchte als Gast irgendein Institut, eine Klinik o. ä., wo er regelmäßig arbei¬
tete. Ich war der einzige, der keinen „Arbeitsplatz“ hatte, aber irgendwie wurden wir
auch dadurch zusammengehalten, dass es die wöchentliche „Donnerstagskonferenz“
gab, eine Art Seminar, wo jeder zu einem frei gewählten Thema aus seinem Wissen¬
28 Gragger, Robert: Ungarisches Institut zu Berlin. Manuskript [darin Bleistiftvermerk: Rede,
gehalten bei der Gründungssitzung.] Das Manuskript wurde von Paul Kärpäti veröffentlicht
in: BBH, 1994, Bd. 7, S. 289.
2° In den achtziger Jahren begann man im Ausland so genannte „Hungarologische Zentren“ zu
begründen. Nach meinen Erinnerungen gehörte zur Zeit dieses Vortrags das in Paris zu den
ersten.
3° Gragger, Robert: Ungarisches Institut zu Berlin. In: BBH, Nr. 7, S. 289.