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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE pádagogischen Erfahrungen des jungen Wissenschaftlers und Lehrers bildeten schließlich die Vorbereitung zu dem nicht nur wissenschaftlich, sondern auch kulturhistorisch und kulturpolitisch produktivsten Jahrzehnt in Graggers Leben an der Berliner Universität. Im ersten Quartal 1916 reifte die Idee von der Gründung eines Ungarischen Lehrstuhls in Berlin zur offiziellen Entscheidung, und bereits am 18. August 1916 wurde Gragger zum Extraordinarius ernannt und unter seiner Leitung ein ungarisches Seminar begründet. Selten ist das Zusammentreffen der staatlich bestimmten kulturpolitischen Zielsetzungen mit den tatsächlichen sozialhistorischen Bedürfnissen und den individuellen persönlichen Möglichkeiten der Ausführung der Ziele und Ansprüche in solchem Maße günstig, wie das bei der Entscheidung für Robert Graggers Person der Fall war. Der kulturpolitische Auftrag war eigentlich, durch den Universitätslehrstuhl in der deutschen Hauptstadt einen Brückenkopf für die wissenschaftlich fundierte Vermittlung der kulturellen Werte der ungarischen Sprache und Literatur sowie ihrer weltoffenen Beziehungen zu Europa zu errichten. Zweifelsohne war Gragger durch seine wissenschaftlichen Ziele und seine reichhaltigen komparatistischen Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der deutsch-ungarischen Beziehungen für die Leitung dieses Lehrstuhls sozusagen prädestiniert. Niemand, wahrscheinlich er selbst auch nicht, hätte damals schon seine außerordentlichen wissenschaftsorganisatorischen Fähigkeiten erahnt, deren Entfaltung erst durch die Annahme der Berliner Professur möglich wurde. Das ursprünglich verhältnismäßig kleine Seminar zählte im März 1917 erst 84, ein halbes Jahr später bereits 200 Hörer. Im Herbst desselben Jahres wurde aus dem Seminar ein Institut; um seine Breitenwirkung zu steigern sowie für seine Unterstützung zu sorgen, begründete Gragger gleichzeitig die Gesellschaft der Freunde des Ungarischen Instituts. Zu den Mitgliedern gehörten u. a. hohe Regierungsbeamte, Bankiers und andere hochgestellte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. (Die Mitgliedsbeiträge betrugen jährlich 500 bis 10.000 Mark.)” Wie Gragger und der mit ihm eng befreundete preußische Minister für Kultur, der Orientalist Carl Heinrich Becker die finanziellen Mittel des Instituts besorgten, so z. B. für die so wichtigen Veröffentlichungen wie die Ungarische Bibliothek, darüber berichtete der Augenzeuge Jänos Barta, der 1925/26 Student im Collegium war, mit den folgenden Worten: Die finanzielle Grundlage dafür schuf Kultusminister Becker mit einer einfallsreichen und charakteristischen modernen Methode. Von Zeit zu Zeit lud er be°5 Schneider, Márta: A Berlini Magyar Intézet és a Collegium Hungaricum [Ungarisches Institut zu Berlin und das Collegium Hungaricum]. In: Hungarológia. Tudományos, oktatásmódszertani és tájékoztató füzetek [Hungarologie. Informationshefte für Wissenschaft und Unterrichtsmethodik]. Hg. v. T., L. Budapest: Nemzetközi Hungarológiai Központ [Internationales Zentrum fiir Hungarologie], 1993, Bd. 2, S. 11. + 184 +