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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE Die düstere Metaphorik der erlebten Gegenwart baut sich in Wackenroders Iraum aus Wörtern auf wie Dunkel, Schatten, ángstlich, drohend, Klippen, Felsen, bang, eingeschlossen [sein], zittern, scharfer Wind, verloren, Einsamkeit, eng, die Nacht eine dunkle Binde, niederschreiende Eule, tobend schaumender Wassersturz — bei ausgesprochen fehlendem thematischem Gegensatz, ausdrücklich mit keinem einzigen „Sternchen“, ja nicht einmal mit dessen „schwachem Flimmerschein“. Das Resultat ist die poetische Attitüde der erschütterten Gegenwartsbeziehungen mit intertextuellen Konvergenzen in alle Richtungen der zeitgenössischen modernen Lyrik: Durch dunkle Schatten lenkt’ ich meine Schritte, Es ging mein treuer Freund zur Seite mir, Er hörte meine ängstlich inn’ge Bitte Und weilte nur zu meinem Besten hier. Da standen wir in einer Felsen Mitte, Von dräunden Klippen eingeschlossen schier: Mit bangem Herzen, hielt ich ihn umschlossen, Mein Haupt verbarg ich, meine Augen flossen. Wir zitterten dem scharfen nächt’gen Winde, Verloren in der dunkeln Einsamkeit, Die schwarzen Wolken jagten sich geschwinde, Die Eule laut vom Felsen niederschreit, Nacht eng’ um uns, wie eine dunkle Binde, Ein Wassersturz, der tobend schäumt und dräut: Ach! seufzt’ ich, will kein Sternchen niederblicken, Mit schwachem Flimmerschein uns zu begliicken?™ DIE LITERATURHISTORISCH REPRASENTATIVE DICHTUNG UND DIE EMPFINDSAMKEIT Die Authentizitat eines solchen Bezuges zur Wirklichkeit war nur in einer Hinsicht gefahrdet — wenn sie (bzw. die Spannung zum tatsächlichen Zeiterlebnis) im jeweiligen Gedicht von den modischen Klischees der zeitgenössischen spätsentimentalen Trivialdichtung fragwürdig gemacht oder gar aufgehoben wurde. Es ist bekannt, dass die modernen Verfremdungsmetaphern der jüngeren deutschen Dichtergeneration in jenen Jahren kein entsprechendes Interesse unter den Lesern fanden. Die poetischen Innovationen, die unmittelbar vor und nach 1800 am deutlichsten von der deutschen Frühromantik (auch theoretisch) 6 Wackenroder, Wilhelm Heinrich: „Traum“. In: Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Dichtung, Schriften, Briefe. Hg. v. Gerda Heinrich, Berlin: Union Verlag, 1984, S. 357. + 162 +