SCHILLERS LETZTE GEDICHTE IM KONTEXT ZEITGENÖSSISCHER DEUTSCHER LYRIK
Der Himmel ist gestürzt, der Abgrund ausgefüllt,
Und mit Vernunft bedeckt, und sehr bequem zu gehen.
Des Glaubens Höhen sind nun demoliret.
Und auf der flachen Erde schreitet der Verstand,
Und misset alles aus, nach Klafter und nach Schuen.”®
Es ist auch bezeichnend, wie die alles durchdringende Desillusionierung Ver¬
gänglichkeitsahnungen sowie pessimistische Gedanken von der Flüchtigkeit
des Lebens aufkommen ließ. In einem Schiller-Gedicht aus dem Jahre 1803
waren z. B. die äußerst bescheidenen „schönen Gaben“ des wirklichen Lebens
der Gunst des Augenblicks” preisgegeben:
Aus den Wolken muss es fallen,
Aus der Götter Hand, das Glück,
Und der mächtigste von allen
Herrschern ist der Augenblick
Von dem allerersten Werden
Der unendlichen Natur
Alles Göttliche auf Erden
Ist ein Lichtgedanke nur. [...]
So ist jede schöne Gabe
Flüchtig, wie des Blitzes Schein,
Schnell in ihrem düstern Grabe
Schließt die Nacht sie wieder ein.
Auch in einem Lied aus Tiecks Sternbald-Roman waren gerade die ersehnten
Harmonien - fern von dem verhassten Getümmel der Gesellschaft — von der
alles untergrabenden Macht der Vergänglichkeit bedroht:
Ach, Vergänglichkeit knüpft schon die Ketten,
Denen kein Entrinnen möglich bleibt,
Lieb’ und Treue können hier nicht retten,
Wenn die harte Zeit Gesetze schreibt.‘
58 Günderrode, Karolina von: Vorzeit und neue Zeit. Günderrode, Karolina von: Der Schatten
eines Traumes. Gedichte. Prosa. Briefe. Hg. v. Christa Wolf. Berlin: Buchverlag der Morgen,
1979, S.71.
”® Schiller, Friedrich. Die Gunst des Augenblicks, Berliner Ausgabe, Bd. 1, S. 516 f.
6 Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen, S. 277.