LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE
Die sichern Stützen schwanken,
Kein Halt der Zuversicht;
Der Wirbel der Gedanken
Gehorcht dem Willen nicht."
Schiller fasste in seinem Jahrhundertwendegedicht den gegebenen Weltzustand
in der Formel:
Und die Grenzen aller Lánder wanken,
Und die alten Formen stürzen ein |...]”
Nicht nur um 1800, sondern in allen Phasen der deutschen Romantik wurden die
seelenzermürbenden Angstzustände auch mit dem unheimlich zwingenden
Druck philiströs interpretierter Wertvorstellungen des Vernünftigen und Nütz¬
lichen in Zusammenhang gebracht. Wo nichts mehr, als die Arbeit einen Sinn hat,
bleibt einem — nach dem der nicolaischen Schule der Berliner Spätaufklärung
entlaufenen Ludwig Tieck - nur eine leb- und farblose Welt ohne Gefühle, Liebe,
Sehnsüchte und Erinnerungsbilder übrig, nur noch mit Ängsten und Gram:
Als das Glück von der Erde sich wandte,
Das Geschick alle Götter verbannte,
Da standen die Felsen so kahl,
Es verstummten der Liebenden Lieder,
Sah der Mond auf Betrübte hernieder,
Vergingen die Blumen im Tal.
Sorg’ und Angst und Gram ohne Ende,
Nur zur Arbeit bewegten sich die Hande,
Trüb und tränend der feurige Blick,
Sehnsucht selber war nun entschwunden,
Keiner dachte der vorigen Stunden,
Keiner wünschte sie heimlich zurück.’
Welch grundsätzlich anderen Stellenwert erhielt hier der Begriff „Arbeit“, als
in dem gleichzeitig entstandenen Gedicht von Johann Heinrich Voß” Noch
deutlicher wurde in diesem Zusammenhang Karoline von Günderrode:
54 Novalis: ,,Geistliche Lieder X.“ (entstanden 1799-1800). Novalis Schriften. Die Werke Fried¬
rich von Hardenbergs, Bd. 1, S. 171.
55 Schiller, Friedrich: An ***, Berliner Ausgabe, Bd. 1, S. 497 £.
56 Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen, S. 164.
57 Voß, Johann Heinrich: „Zur Arbeit“ (1801). Siehe in diesem Band Kap. „Wirklichkeit und
Modelyrik...“, Abschnitt „Politische Unverbindlichkeit — poetischer Anachronismus(?)“