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WIRKLICHKEIT UND MODELYRIK UM 1800

Weimarischen Gelehrten aus dem ersten Jahre des 19. Jahrhunderts in der
Hochburg der deutschen Klassik, sondern eigentlich auf jedes neue Jahr des
vergangenen aufgeklárten Jahrhunderts und in allen deutschen Stádten ver¬
öffentlichen können:

Dem neuen Jahrhundert

Unter Thränen beginnt den lieblichsten Tag Aurora

Und aus düsterer Nacht strahlet die Sonne hervor.

Möge dein Bild dies sein, Jahrhundert! das uns emporsteigt,
Und auf Blindheit und Nacht folge nun Licht und Vernunft.?®

Die sich nie alternden metaphorischen Tragpfeiler dieser Art Gedankenlyrik
wiederholen sich in der um 1800 bereits „zeitlos“ gewordenen Lyrik der Spät¬
aufklärung ohne jede Beziehung zur erlebten Umwelt, so auch in Knebels
Gedicht die Bilder „Blindheit und Nacht“ (für Finsternis der Vergangenheit)
„Ihränen“ (für Leiden in der Gegenwart), „Aurora“ (für Hoffnungen an der
Grenze zwischen Gegenwart und vielverheißender Zukunft) und „strahlende
Sonne“ bzw. „Licht und Vernunft“ (für Zukunft im Sinne der utopisch-opti¬
mistischen aufgeklärten Zukunftserwartungen).

?° Knebel, Karl Ludwig: „Dem neuen Jahrhundert“. In: Kleine Schriften größthentheils von
Weimarischen Gelehrten aus dem ersten Jahre des 19. Jahrhunderts. 2 Bände. Weimar: Ge¬
brüder Gädicke 1801. Vorblatt. (Hervorhebungen L. T.)

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