LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE
zwischen 1801 und 1803 im bereits von Karl August Böttiger redigierten Neu¬
en Teutschen Merkur eine beachtliche Menge von Gedichten heraus, die gegen¬
über seinen 50-60 Jahre früher veröffentlichten anakreontischen und Rokoko¬
liedern den Lesern kaum etwas Neues an Gehalt und poetischer Struktur
bieten konnten. Nur so versteht man die kritischen Goethe-Verse unter dem
Titel Teutscher Merkur. Neuntes Stück, 1802:
In’s Teufels Namen,
Was sind denn eure Namen!
Im, „Teutschen Merkur“
Ist keine Spur
Von Vater Wieland,
Der steht auf dem blauen Einband;
Und unter dem verfluchtesten Reim
Der Name Gleim.'°
Dabei erschienen im kritisch abgelehnten Septemberheft des Merkur nur drei
Gleim-Gedichte, das macht lediglich die Hälfte der im Aprilheft des gleichen
Jahres veröffentlichten aus. Noch 1806, drei Jahre nach Gleims Tod, publizier¬
te Böttiger die historische Ballade Herzog Bernhard von Weimar aus dem
Alterswerk des Dichters. Außerdem nahm er mit besonderer Vorliebe Tobler¬
und Herder-Gedichte im Merkur auf.
Spätaufklärerische Positionen kamen jedoch nicht nur in der Alterslyrik
der damaligen Veteranen der deutschen Poesie zum Tragen, sie bestimmten zu
einem beachtlichen Teil die zeitgenössische Dichtung in verschiedenen Ge¬
dichtbänden, Almanachen, Kalendern, Modeblättern und auf fliegenden Blät¬
tern veröffentlichte zeitgenössische Dichtung. Die Herausgeber der Periodika
trafen ihre Auswahl schon aus rein geschäftlichen Gründen nach ihren Er¬
fahrungen auf dem Liedermarkt, und danach waren Gedichte mit aufkläreri¬
schen Nützlichkeitsideen noch immer gefragt. Siewurden von den Lesern viel
eher akzeptiert als unbequem irritierende Gedanken moderner Prägung im
Sinne der neuesten Tendenzen in der literaturhistorisch repräsentativen Lyrik.
Verse wie die folgenden z. B. beschwören poetische Reminiszenzen der 30er
Jahre des 18. Jahrhunderts herauf:
Ein Guter schafft was Gutes gern
Und fraget nicht, ob Arbeit schände;
Dem trägen Hochmut bleibt er fern;
Sein Ruhm sind arbeitsfrohe Hände [...]
16 Goethe, Johann Wolfgang: Poetische Werke. Gedichte und Singspiele. Berlin / Weimar: Auf¬
bau-Verlag, 1966, Bd. 2, S. 411. (= Berliner Ausgabe, 2.)