Am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde eine ganze Reihe von politisch moti¬
vierten Gedichten unterschiedlichsten Charakters gedruckt. An dem hohen
Grad an Aktualität und an Konkretheit ihrer Wirklichkeitsbezüge kann nicht
gezweifelt werden. Trotzdem wird die große Menge aktuell akzentuierter
Texte in einem Überblick über die lyrische Produktion unter ästhetisch-po¬
etischen Aspekten nur ein armseliges Inventar ausmachen. In der weltpolitisch
verworrenen Zeit zwischen dem Staatsstreich und der Kaiserkrönung Napo¬
leons, in der Periode eines aus der welthistorischen Entwicklung damals für
die Deutschen notwendig entstandenen gesellschaftspolitischen Vakuums
konnten akzeptable und auch vertretbare politische Ziele für die Zukunft nur
mit größter Unsicherheit und vor allem mit dem größten Risiko formuliert
werden. Der Herausgeber der Zeitung für die elegante Welt wehrte sich daher
mit jedem Recht — wenn auch nicht immer mit dem erwünschten Erfolg —
grundsätzlich energisch gegen jedwede Veröffentlichung von politischen Stel¬
lungnahmen. Zu seinen wichtigsten programmatischen Grundsätzen gehörte
nämlich, „daß man [...] gar nichts, was auf Politik und Staatsverfassung zu¬
nächst Bezug hat, zusende, weil solche unbenutzt liegen bleiben oder dem
Einsender auf seine Kosten wieder zurückgesendet wird.“?” Dem Neuen Teut¬
schen Merkur schadete dagegen gewiss, dass Karl August Böttiger die Veröf¬
fentlichung von politisch engagierter Lyrik in den ersten Jahren des 19. Jahr¬
hunderts nicht so entschieden ablehnte.
Die maßlosen Stellungnahmen für oder gegen diese oder jene politische Welt¬
ereignisse in den Dichtwerken litten meistens auch unter mangelnder poetischer
Authentizität. Trotzdem waren sie in den Medien (wenn es um die „Weltregierer“
ging) nicht aufzuhalten Man schwärmte z. B. 1801 trotz Herausgebervorstellun¬
gen sogar in der Leipziger Zeitung für die elegante Welt in panegyrischen Hym¬
nen für die Kaiserkrönung des russischen Zaren Alexander I. und verband mit
dem Ereignis eine längst anachronistisch gewordene Hoffnung auf „Fürstenerzie¬
hung“ bzw. auf Realisierung einer Aufklärung von oben.’ Begeisterung für den
! Der ursprüngliche Text dieses Kapitels erschien als Teil I der Studie „Poesie und Wirklichkeit
in der deutschen Lyrik um 1800.“ In: Zeitschrift für Germanistik, Jg. 7, H. 3, 1986, S. 283-286.
? Zeitung für die elegante Welt [künftig ZEW], Intelligenzblatt, 5/1801, S. 1.
? Siehe dazu z. B. die 29 alkäischen Strophen unter dem Titel „Rutheniens Kaiserkrone. Alexan¬
dern dem Allgeliebten am 21. Sept. 1801 geweiht von Friedrich Seider“. ZEW, 22. Juni 1802,
Beilage zu Nr. 74, Sp. 2-4.