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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE

Studenten nicht nur als Abnehmer bzw. Konsumenten, sondern zudem als
Mitgestalter und Produzenten der Flugblattlieder wesentlich aktiver, als im
Allgemeinen bekannt ist. Von dieser außerordentlich bedeutenden Rolle wuss¬
te auch der bereits zitierte strenge Kritiker der Flugblattlieder, denn über die
Verbotsmaßnahmen in Kursachsen schrieb er unter anderem folgende Worte:
„L...] so löblich ist doch die Maaßregel, und so weckend und warnend für an¬
dere Landespolizeyen, besonders in der Nachbarschaft von Universitäten,
woher so Manches auf die untern Volks-Klassen abträufelt."#? Das will natür¬
lich nicht heißen, dass ausschließlich sie sich an der Mitgestaltung der Flug¬
blattdichtung beteiligt haben. Noch größer musste der Kreis der Verbreiter
— wie es in der Zensurverordnung heißt - von „Liederhändlern, Büchertrödlern
und Buchbindern auf den Stadt- und Jahrmärkten“ gewesen sein. Und schlie߬
lich beschränkten sich auch die Konsumenten der Trivialliteratur nicht nur
auf die verschiedenen Schichten der „unteren Volks-Klassen“, wie der Rezen¬
sent berichtete, nicht nur auf „Frieseure, Kammerjungfern, Bediente, Kauf¬
mannsdiener“,?® wie Rebmann darüber schrieb, ja nicht einmal nur auf „er¬
wachsene Bürgertöchter“, wie das im „Zuschauer in Bayern"? zu lesen ist.
Mehr oder weniger setzte sich der Konsum von Trivialliteratur, so auch der
Triviallyrik auf fliegenden Blättern, in allen Schichten der Bevölkerung durch.

In den Memoiren von Jänos Kis, einem in den Jahren 1792 und 1793 in Jena
studierenden Ungarn, der sich später nach seiner Heimkehr in die westunga¬
rische Region um Ödenburg und Kövägöörs als Dichter und Nachdichter
zeitgenössischer deutscher Lyriker einen Namen machte (Ferenc Kazinczy
nannte ihn den „ungarischen Schiller“), gibt es sogar darauf einen direkten
Hinweis, dass das Räuberlied unter den Jenenser Studenten schon damals be¬
sonders beliebt war. Rückblickend auf die Studienjahre in Jena schrieb er in
den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts unter anderem:

Im allgemeinen gingen wir sonnabends in den späten Nachmittagsstunden, als es
ohnehin keine Vorlesungen mehr gab, in kleineren oder größeren Scharen in ir¬
gendeinen Nachbarort, wo wir bei ein bis zwei Gläsern Bier mit innigster Hingabe
und Begeisterung die Trink- und Liebeslieder der bedeutendsten deutschen Dich¬
ter anstimmten und abends auf dem Rückweg die bekannten Verse der Räuber von
Schiller erschallen ließen: Ein freyes Leben führen wir usw.”°

Unter unserem Aspekt ist in dieser Erinnerung besonders beachtenswert, dass
unter den vielen von den Studenten um Janos Kis gesungenen Liedern faktisch

32 Journal des Luxus und der Moden, S. 427.

33 In: Kiesel, Helmuth / Münch, Paul: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. München:
Verlag C. H. Beck, 1977, S. 155.

34 Ebd., S. 158.

35 Kis János szuperintendens emlékezései életébdl [Memoiren aus dem Leben des Superinten¬
denten J. K.]. 2. Aufl. Budapest: 1890, S. 138.

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