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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE

jeweils antithetischen zweiten Strophen behandeln dagegen die abzulehnenden
Negativa. Somit alternieren im Gedicht Strophe für Strophe Gutes und Böses
(Ein freyes Leben führen wir — Nicht wilde Freyheit lieben wir). Die jeweilige
anstándige Verhaltensweise in frohen Stunden des Lebens veranschaulichen die
folgenden Beispiele in den Strophen 1, 3, 5 und 7: der mäßige Genuss von Ge¬
tränken im „ungezwungnen Freundschaftsmahl“ (Strophe 1), die Achtung des
Gesetzes und der Ordnung im Sonnenlicht des Verstandes (Strophe 3), das
moralisch noch akzeptable, der „Tugend“ nicht widersprechende Vergnügen, in
dem noch der „frohe Tanz“ sowie das „Pfänderspiel“ [!] am Platze sind (Strophe
5),ja sogar die Freude an der wahren, des deutschen Menschen würdigen Liebe
„ohne Jemands Schaden“ (Strophe 7). Die abgelehnte Lebensform lassen die dem
Typ I entnommenen Bilder der zweiten, vierten, sechsten und achten Strophe
nachempfinden: die „wilde Freyheit“ der Räuber, die in der Nacht herumschwär¬
men (Strophe 2), „die andrer Ruhe stöhret“ (Strophe 4) und deren „rohes Leben“,
das „die Menschheit schändet“ (Strophe 6). Schließlich knüpfte der Verfasser
der sittlichen Variante in der achten Strophe an das Höllenmotiv des Liedtyps I
an. Die Hölle sei demnach der Preis der „Frechheit“. Wer also die zu verachten¬
de Lebensform wählt und mit den Worten des Gedichtes die „Tugend nicht zu
schätzen weiß“, „der mag“, so heißt es am Ende, „beym Teufel wohnen“.

Bezeichnenderweise musste in diesem Räuberlied der in der ersten Varian¬
te am Gedichtanfang betonte Zusammenhang des „freien Lebens“ mit des
„Lebens voller Wonne“ seine bisherige Vorrangposition einbüßen. Der Ver¬
fasser der neuen Variation hielt es für viel wesentlicher, die Akzente auf ein
„edles freies Leben“ zu setzen. Der ursprüngliche Gedanke vom „wonnevollen
freien Leben“ konnte selbst in der dritten Strophe nur noch dadurch erhalten
bleiben, dass er mit den Begriffen „Gesetz und Ordnung“ in positive Verbindung
gebracht wurde bei seiner entschiedenen Trennung von der „lästigen Sklaverey“
der Sünden und Verbrechen.

Form und Melodie des Räuberliedes hat man während und nach den Befrei¬
ungskriegen (genauso wie im Falle des ebenfalls verbotenen Schubart’schen
Kapliedes) auch für Soldatenlieder verwendet, so z. B. in einem Flugblattlied, von
dessen sieben Strophen hier nur die erste und die dritte wiedergegeben werden:

[1.]

Die Fahne weht, die Trommel rauscht”®
und die Trompeten klingen:

es stampft der Roß mit leichtem Huf,
durch’s ganze Heer ertönt der Ruf:
Laßt Lorbeern uns erringen.

?® In: „Fünf schöne neue Kriegs-Lieder. Das Erste. Auf, Kameraden! Greift zum Schwert! Das Zweite.
Die Fahne weht, die Trommel rauscht. Das Dritte. Franzosen, wie wirds euch ergehen. Das Vierte.
Auf! Auf ihr Preußen! Rüstet euch. Das Fünfte, Mädchen meiner Seele. Berlin in der Zürn¬
gibl’schen Buchdruckerei (80)“. Deutsche Staatsbibliothek, Berlin, Signatur: Yd 7903, Heft 50.

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