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SCHILLERS RAUBERLIED UND SEINE VARIANTEN AUF FLIEGENDEN BLATTERN

Der Triumphzug, den das Schiller’sche Räuberlied dank seiner Verbreitung
durch die Flugblattlyrik in den breitesten Schichten der zeitgenössischen Le¬
ser (und ganz gewiss auch der Nichtleser) antreten konnte, war allerdings nicht
ganz unbehindert: Der Versanfang Ein freies Leben führen [wir] stand nämlich
als vorletzter in der ominösen Verbotsliste von 82 Liedern'? als Beilage der
kurfürstlichen Zensurverordnung vom 17. 5. 1803. (Ebenda befand sich an
der 76. Stelle" auch das Auf, auf, ihr Brüder [und seid stark} von Schubart.)

Aller Wahrscheinlichkeit nach ging es dabei um das Flugblattlied Typ I.
Uber die Griinde des Verbotes kénnen wir heute nur Vermutungen anstellen.
Dabei könnten uns die auffallend vielen zeitgenössischen Publikationen gegen
den unkontrollierten Vertrieb von Flugblattliedern wenigstens einigermaßen
orientieren.'® Ein unbekannter Autor nahm z. B. in Friedrich Justin Bertuchs
Weimarer Journal des Luxus und der Moden drei Monate nach der kursach¬
sischen Verordnung unter dem Titel Volkslieder fiir die ,,stets thatige Wirk¬
samkeit“ der „Censurbefugnisse“ und „gegen schädliche Lieder“ mit engagier¬
ter Entschiedenheit Stellung.'” Der Verfasser teilte die verbotenen Lieder in
zwei Gruppen: In die erste gehörten nach ihm die „höchst unsittlichen, ge¬
schmacklosen Lieder“. Hierbei nannte er aus der Liste die Versanfänge Komm
mein, Trutschel, [feines Mädchen] und Wo bleibst du, Hannchen [doch so
lange,” „die schon im Titel das Zeichen des Thiers tragen“. Die Gedichte der
zweiten, wesentlich kleineren Gruppe „deuten“ dagegen unmissverständlich
„auf die vom Rhein herüber gekommene Revolutionsseuche und verdienen
auch darum die strengste Ahndung“. Als Beispiel für diese Gruppe wurde

4 Tille, Armin: Verzeichnis von 1802 konfiszierten Volksliedern. Mittheilungen des Vereins für
Sächsische Volkskunde, 1904, Bd. 3, H. 5, S. 133-136. Vgl. dazu auch Witkowski, Georg: Ver¬
zeichnis der im Verlage der verwitweten Solbrigin herausgekommenen Volkslieder, welche
anbefohlenermassen zur Zensur gelangt sind, Anno 1802. Ebd., 1908, Bd. 4, H. 9, S. 299-309.
Den Text der Zensurverordnung siehe in Schenda: Volk ohne Buch, 1977, S. 129 f.

Um die bibliographische Orientierung in dem riesigen Liedermaterial zu erleichtern habe ich
in meinen einschlägigen Publikationen u. a. die von mir identifizierten und veröffentlichten
verbotenen Lieder der ursprünglichen Reihenfolge der kursächsischen Akten entsprechend
jeweils mit laufenden Nummern versehen: Schubarts „Kaplied“ ist auf der Liste das 76., Schil¬
lers „Räuberlied“ das 81. Lied. Als nachgewiesenermaßen originaler Text des 1802 in Leipzig
konfiszierten Liedes wurde letzteres unter Nr. 81a in: Tarnöi, Verbotene Lieder und ihre Va¬
rianten auf fliegenden Blättern um 1800. Budapest: ELTE, 1983. 276 S., hier S. 263 veröffent¬
licht.

Die viel zu kurzen Versanfänge der Verbotsliste habe ich jeweils auf die im natürlichen Sprach¬
gebrauch übliche Länge, wie z. B. „Ein freies Leben führen [wir]“, erweitert.

Vgl. dazu Tarn6i, Läszlö: Dokumente über Stellungnahmen gegen die Verbreitung von un¬
erwünschter Literatur in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts, ebd. S. 81-93.

Journal des Luxus und der Moden, Weimar: August/1803, S. 425-428.

Die originalen Texte der beiden 1802 in Leipzig konfiszierten Drucke wurden unter Nr. 25a
u. 54a veröffentlicht. Tarnöi, Verbotene Lieder, 1983, S. 142 f. u. 200.

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