SCHILLERS RAUBERLIED UND SEINE VARIANTEN AUF FLIEGENDEN BLATTERN
[6.]
Ha! Wenn sie euch unter dem Beile so zucken,
Ausbrüllen wie Kälber, umfallen wie Mucken,
Das kitzelt unsern Augenstern,
Das schmeichelt unsern Ohren gern.
[7.]
Und wenn mein Stündlein kommen nun,
Der Henker soll es holen, ALLE
So haben wir halt unsern Lohn, Wenn unser Stiindlein kommen nun
Und schmieren unsre Sohlen.
Ein Schlückchen auf den Weg vom heißen
Traubensohn,
Und hurra rax dax! geht’s, als flögen wir davon.
Bei der Umgestaltung des Schiller-Liedes für das unterhaltende Flugblatt¬
genre mussten vor allem seine engen Beziehungen zum Drama beseitigt wer¬
den. Dafür strich man die erste und die in der zweiten Ausgabe von Spiegelberg
gesungene fünfte und sechste Strophe. Sie waren nämlich durch ihre eindeu¬
tige Rolle bei der negativen Charakterzeichnung der Räuber dermaßen be¬
lastet, dass an ihre Umfunktionierung für das unterhaltende Flugblattlied
nicht zu denken war. Die maßlose Steigerung der Gräuel in diesen Strophen
diente in keiner Weise der Unterhaltung. Sie hatte die Funktion, den Typus
Spiegelberg plastisch zu charakterisieren und Leser und Hörer von einem
menschenunwürdigen Leben abzuschrecken. Dabei folgte Schiller in seiner
poetischen Aussage im Grunde genommen indirekt den moralisierenden Ten¬
denzen des aufgeklärten Jahrhunderts mit dem Ziel, die entsetzlichen Folgen
des uneingeschränkten freien Lebens so wirksam wie möglich nachempfinden
zu lassen.
Die Verben der ersten Strophe (stehlen, morden, huren, balgen), welche die
Schandtaten der Räuber haben veranschaulichen sollen, die Synonyme des
Ausdrucks der physischen und psychischen Schmerzen ihrer Opfer in der
fünften Strophe (Wehgeheul, Klaggezeter, Winseln), der jeden ehrlichen Men¬
schen empörende Kreis der unschuldig Getroffenen (Väter, Mütter, Bräute)
und schließlich die Bilder der entsetzlichen Freude der verkommenen Un¬
menschen über die von ihnen verursachten Leiden am Ende der fünften und
in der ganzen sechsten Strophe waren mit Unterhaltungsansprüchen überhaupt
nicht zu vereinbaren. Mit anderen Worten: die zeitgenössischen Leser erwar¬
teten nicht diese Art Lyrik vom unterhaltenden Flugblatt, auch dann nicht,
wenn die ansonsten äußerst gruseligen Geschichten den wenig differenzierten
Ansprüchen des Publikums im Allgemeinen gerecht werden konnten.