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ROMANTISCHES UND SENTIMENTALES ... Das treue Herz, das trostlos sich verzehrt, Und still bescheiden nie gewagt zu sprechen, Ich kenne den ihm selbst verborgnen Wert, Am rohen Glück will ich das Edle rächen. Dem Armen sei das schönste Los beschert, Nur Liebe darf der Liebe Blume brechen. Der schönste Schatz gehört dem Herzen an, Das ihn erwidern und empfinden kann. Das Gedicht bewegt sich als paradigmatisches Stück der romantischen Lieder Schillers in der intimsten Welt zweier Menschen - durch die gegenseitige Liebe und deren Erfüllung abgekapselt von der übrigen Welt. Nur so kann das Lied vom Anfang bis zum Ende vom leuchtend hellen Glanz der Hoffnung, Erwartung, Freude sowie des erfüllten Glücks - ähnlich wie viele frühromantische Dichtungen mit Mittelalter-Thematik — überzogen werden. Besonders beachtenswert ist dabei, wie bzw. mit welchen poetischen (sprachlichen und stilistischen, metaphorischen und strukturellen etc.) Mitteln Schiller die fortwährenden Spannungen zwischen Fern und Nah, Scham und Wollust, Sehnsucht und Erfüllung mit einem Wort zwischen Beherrschtsein und Leidenschaft auszubalancieren versucht. Auch in diesem Zusammenhang sind nämlich inhaltliche bzw. intertextuelle Beziehungen zwischen der Harmonie ausstrahlenden Zentraltugend mittelalterlicher Minnedichtung, der „maze“, und deren romantisch-modernen Interpretation zur Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht zu verkennen. Ähnlich motiviert sind auch die anderen romantischen Gedichte Schillers. Bei allen Variierungen des jeweiligen poetischen Kontextes werden die Akzente programmatisch wiederholt auf den romantischen Rückzug aus der geschäftigen Welt in die privateste Sphäre der erfüllten Liebe gesetzt, wie dies freilich ohne Mittelalter-Bezüge später u. a. auch im Jüngling am Bache und noch mehr im berühmten Jahrhundertwendegedicht propagiert wurde. So sind diese Gedichte auch gehalts- und formtypologische Vorboten vieler frühromantischer Gedichte, wie sie etwa im Sternbald-Roman oder im Magelone-Roman vorgetragen wurden. Somit wurden sie in ihrer Art damals, als sie zwischen 1796 und 1799 geschrieben wurden, auch den neuesten Entwicklungstrends in der Geschichte der deutschen Lyrik gerecht, daher konnten sie auch höchst innovativ gewirkt haben. Als indirekte lyrische Bekenntnisse des erlebten Verfremdetseins verfügen sie bis heute über einen verhältnismäßig hohen Grad an poetischer Authentizität. Nicht umsonst begeisterte sich Körner, einer der verständnisvollsten Leser und Kritiker der Schiller-Gedichte, einer der in der Lyrik „immer auch den kleinsten Mißton“ wahrzunehmen verstand, ?' für die 21 Körner an Schiller. Dresden, den 26. März 1798, Montag. Siehe in: SWN, Bd. 37, Teil I. Hg. v. Norbert Oellers u. Frithjof Stock. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1981, S. 271. « 79 «