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KOSMISCHE METAPHERN IN DER DEUTSCHEN BAROCKLYRIK

kunftsperspektiven wie fiir seine literaturhistorisch repräsentativen Vorgänger
im vergangenen Jahrhundert. So lassen sich zwar im CEuvre manche Erinne¬
rungen an Leibniz, Wolfu. a. Zeitgenossen nachweisen, doch bei aller Anerken¬
nung ihrer Lehren widerspiegelt diese Poesie im Grunde genommen das Gegen¬
teil von ihrem Weltbild. Das Gedicht Als er sich tiber den Eigensinn der
heutigen Welt beklagte”® — typisch fiir seine ganze Lyrik — entwirft Strophe
fiir Strophe ein abscheuliches Bild von allen Schichten der von ihm kennen¬
gelernten Zeitgenossen in den Höfen sowie in den Städten, unter Männern
und unter Frauen. Als Rahmen gelten hierzu eine einleitende und eine ab¬
schließende Strophe. In der ersten steht die These, deren zwei abschließende
Verse auch Friedrich von Logau” fünfzig Jahre zuvor hätte schreiben können:

Man muß doch mit den Wölfen heulen,
Drum fort betörter Eigensinn!

Ich will mich in die Leute teilen

Und lachen, wie und wo ich bin.

Ein Sauertopf mag immer schelten
Und unsre Zeit dem Satan weihn,
Denn untersucht er tausend Welten,

Wird keine sonder Mangel sein.

Tatsächlich ist aber dies zugleich die eindeutige poetische Widerlegung der phi¬
losophischen Formel des bewunderten Leibniz, und zwar als in der letzten Stro¬
phe jene Schlussfolgerung, welche die Annahme der Wolff’schen Rezepte für
das glückliche Leben ein für allemal ablehnt. Denn - so heißt es da - „Nach
Wahrheit, Zucht und Tugend streben / Baut jetzt vorwahr kein steinern Haus.“
— Authentisch wird in der Dichtung immer nur, was der Dichter im großen En¬
semble seiner Mitmenschen individuell tatsächlich erlebt. Jeweils dementspre¬
chend wird daher alles, was er sonst noch zur Kenntnis nimmt — Sonne, Mond
und Erde, ja sogar jede Utopie von einem goldenen Zeitalter — poetisch interpre¬
tiert.

” Günther, Johann Christian: Als er sich über den Eigensinn der heutigen Welt beklagte. In:
Günthers Werke. Bd. 2, S. 55. (Hervorhebung L. T.)
7° Vgl. damit Logaus bereits zitierten Zweizeiler mit dem Titel „Viel Welten“.