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KOSMISCHE METAPHERN IN DER DEUTSCHEN BAROCKLYRIK

nachempfinden ließ, zu einem einzigen (Anfangs)Vers eines Epigramms°® ver¬
dichtet: „Die Städte fallen ein°” / Geld‘® / Ehr‘ / und Mensch“ vergehn!“

Dem folgte der überraschende Schlussvers — nach Martin Opitz die un¬
erlässliche „spitzfindigkeit“ des jeweiligen Epigramms, „die sonderlich an dem
ende erscheinet / das allezeit anders als wir verhoffet hetten gefallen soll.“
Und tatsächlich hätte man an dieser Stelle eher alles Andere erwartet, als dass
der Dichter seinen Vergänglichkeitskatalog mit dem Bild von der sich stets
bewegenden runden - daher auch labilen und haltlosen — Erde in eine kausa¬
le Beziehung setzt, wie dies durch den metaphorischen Zusammenhang der
beiden Verse zum Ausdruck kommt:

Die Städte fallen ein/ Geld / Ehr / und Mensch vergehn!
Und Recht denn was kann fest auff runder Erde stehn [?].

Friedrich von Logaus Sinngedicht aus dem Jahre 1649 verwies bereits mit dem
Titel auf das berühmte Wort von Galilei°* und damit freilich auch auf die
neuen Kenntnisse in der Kosmologie:

Friedrich von Logau: Die Erde wird bewegt”

Daß die Erde sich bewegt und niemals nie stillestund,

Mag wohl sein; was eckicht war, wird fortmehr ja alles rund.

Der Gegensatz von „eckicht“ und „rund“ spielt unmissverständlich den von
unbeweglich, d.h. feststehend bzw. von beweglich, mit anderen Worten sich
in steter Bewegung befindend, an. Im Kontext mit der plötzlichen Veränderung
und Erweiterung des geistigen Horizonts des Menschen durch die These des
Galilei, wie dies im Titel und im ersten Vers deutlich zum Ausdruck gebracht

°8 Gryphius, Andreas: Ad Levinum. In: A. G.: Oden und Epigramme. Hg. v. Marian Szirocki.
Tübingen: Max Niemeyer, 1964, S. 206. (= A. G. Gesamtausgabe der deutschsprachigen Wer¬
ke, Bd. 2.)

”® Vgl. dazu im Sonett „Es ist alles eitell“ die Verse 2 u. 4. (Strophe 1): „Was dieser heute bawt /

reist jener morgen ein: Wo itzund städte stehn / wird eine wiesen sein“ In: Die deutsche Lite¬

ratur. Texte u. Zeugnisse. Bd. 3. Barock, S. 242.

Der Begriff „Geld“ komprimiert an dieser Stelle sämtliche vom Menschen erworbenen mate¬

riellen Werte und deren Vergänglichkeit. Vgl. dazu ebd. den Vers 7 (Strophe 2): „Nichts ist das

ewig sey / kein ertz kein marmorstein“, Ebd., S. 243.

Vgl. dazu ebd. den Vers 9 (Strophe 3): „Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn.“

(Hervorhebung L. T.)

Vgl. dazu ebd. den rhetorischen Fragesatz im Vers 10 (Strophe 3): „Soll den das spiell der zeitt

/ der leichte mensch bestehn [?]“ (Hervorhebung L. T.)

Opitz, Martin: Buch von der deutschen Poeterey. Das V. Capitel. Brieg: Augustino Gründer

1624. In: Die deutsche Literatur. Texte u. Zeugnisse. Bd. 3. Barock, S. 8.

„Eppur si muove“ Dt.: „Und sie [die Erde] bewegt sich doch.“

Logau, Friedrich: Sinngedichte. Berlin: Rütten & Loening, 1967. S. 93.

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