OCR Output

KOSMISCHE METAPHERN IN DER DEUTSCHEN BAROCKLYRIK

METAPHORISCHE VERALLGEMEINERUNG BAROCKER WELTVERACHTUNG

Der Tenor der barocken Metaphorik vermittelte von Theobald Ho(e)ck®? bis
Johann Christian Günther” rund hundertzwanzig Jahre lang Stimmungen des
erschütterten Glaubens an eine heile Welt." Harsdörffers Gedicht mit dem
Titel Die Welt“ bietet den Lesern in der Manier des 17. Jahrhunderts einen
umfassenden Katalog von Bildern der „schlechtesten aller möglichen Welten“.
Zwischen dem Titel und den Versen lautet die Zusatzinformation des Dichters,
Urania, die Muse der Sternkunde, habe den übrigen acht Musen die Frage
gestellt, was die arge Welt sei.”* Das Gedicht besteht eigentlich aus den ent¬
sprechenden Antworten der Musen, deren Bilder dem Leser eine ganze Reihe
möglicher Assoziationen eröffnen. Mein persönliches Angebot hierzu soll dies
anschließend zeilenweise veranschaulichen. Das Resultat ist somit letzten
Endes die interaktive Beteiligung der Leser an der Entstehung jenes differen¬
zierten barocken Weltbildes, wozu der Nürnberger Dichter seine Adressaten
mit seinen Metaphern inspiriert. Auch die beigefügte ungarische Übersetzung
repräsentiert im Grunde genommen nur einen der vielen möglichen Leser¬
Zugänge zum Inhalt (d.h. zum Thema und zur Aussage) und zur Form (insbe¬
sondere zu den Metaphern) des deutschen Originals. Freilich wird man schon
durch das negative Urteil des Attributs in der Frage der Urania zum richtigen
Verständnis des Dichters geleitet. Umso deutlicher lassen anschließend die
düsteren Bilder der acht Doppelverse (eigentlich Alexandriner mit Binnen¬
reimen) die unterschiedlichsten Aspekte böser Erfahrungen in der Welt der
Menschen nachempfinden:

4

S

Ho(e)cks ,,Schénes Blumenfeldt“ erschien 1601. Vgl. dazu Kap. ,,Poesie trostloser Verzweiflung:
Theobald Ho(e)ck von der Bosheit der Welt“ in diesem Band.

Vgl. dazu das Gedicht , Als er sich über den heutigen Sinn der Welt beklagte“ von Johann
Christian Günther von 1719, zitiert am Ende dieses Aufsatzes.

Es dürfte kein Zufall sein, dass die beiden repräsentativen (ost- und westdeutschen) Lyrik¬
anthologien des deutschen Barock im letzten halben Jahrhundert unter dem Titel der
Gryphius-Worte „Tränen des Vaterlandes“ und „Wir vergehn wie Rauch von starken Winden“
erschienenen sind.

Harsdörffer, Georg Philipp: Die Welt. In: Nathan und Jotham: Das ist Geistliche und Weltliche
Lehrgedichte / Zu sinnreicher Ausbildung der waaren Gottseligkeit / wie auch aller löblichen
Sitten und Tugenden vorgestellet. Sambt einer Zugabe / genennet Simpson / begreiffend
hundert vierzeilige Rätsel. Zweyter Theil. Gedruckt zu Nürnberg in Verlegung Michael End¬
ters. Im Jahr 1651. Bl. N 1.

„Urania gabe den IIX [ = VIIL, L. T.] Musen einen halben Vers / wie vor Zeiten Virgilius (sic
vos non vobis) mit ansinnen / denselben zu endigen / fragend: Was ist die arge Welt? Hierauf
hat jede noch zwo halbe Zeilen darzu gesetzet nachgehenden Begriffs“

4

&

4

ÉS

4.

a

4

a

© 39 s