6. NEUE VARIATIONEN DER ALTEN KLISCHEES
modern gewordenen Wertvorstellungen und damit auch dem jeweiligen
Auslandsinteresse Mafistabe setzte. Ganz im Gegenteil suchte die veránderte
Weltsicht der Romantiker von den allerersten Anfángen in Jena und Berlin
in dem Fremden nach Werten des Urwüchsigen, des durch zivilisatorische
Eingriffe noch nicht Verdorbenen und des von der Allgemeinheit sich
abhebenden Besonderen und Individuellen. Wenige Jahre spáter, bei der
plötzlichen Besinnung auf die eigene Nation, erhöhte sich dieses Interesse
noch mehr für das Fremde; die nationale Selbsterkenntnis setzte ja auch die
genaue Bestimmung des jeweiligen Anderen voraus. Das Fremde wurde dabei
in der romantischen Art nicht selten zum Exotischen verklárt.
6. NEUE VARIATIONEN DER ALTEN KLISCHEES
Dass der weltanschauliche und politische Trendwechsel des Erkennenden
in seinen Ungarnbildern nicht immer leicht nachweisbar ist, dafür sorgt
allerdings die „imagologische Schwerfälligkeit“ der Lánder- und Völkerbilder,
mit anderen Worten deren hohe Traditionsrelevanz, die alles einebnende
Erosion durch die , ewigen" Schemata.
Alte Wertvorstellungen verflechten sich z. B. mit den neuen romantisch¬
konservativen Ansichten des anonymen Verfassers des 1803 veröffentlichten
Ungarnaufsatzes in der Rheinländischen Zeitung.” Von Ungarn berichtend
geht man darin von Argumenten für das naheliegende Besondere aus, das
im Afrika-Asien-Kontext einen Hauch vom Exotischen erhält, gleichzeitig
folgt man aber unverändert den alten schematischen Wertvorstellungen über
Ungarn, das Land und seine Bewohner:
Im Physischen, wie im Moralischen kennt der Mensch oft das am wenigsten, was
ihn am nächsten berührt: es ist gewiß auffallend, daß man von sehr entfernten
Ländern in Afrika und Asien mehr weiß, als von manchen Europäischen Staaten.
Dahin gehört Ungarn, dieses kriegerische Land, der alte Wall Europens gegen die
Ungläubigen von einem heroischen Volke bewohnt [...] (Schema 2)
Anschließend fächert der unbekannte Verfasser eine Art Summa Summarum
tausendjähriger Ansichten über Ungarn auf, an dieser Stelle natürlich nur
Positiva. Die syntaktischen Gruppen der Metaphorik folgen einander wie
feierliche Kanonendonner:
2 [- -]: Gemälde von Ungarn. In: Rheinländische Zeitung. Frankfurt am Main. Nr. 46.
Mittwochs, den 8. Juni 1803, S. 182 f. (Hervorhebungen L. T.)