XI. DER NEVE TEUTSCHE MERKUR ALS QUELLE...
Der von den Musen begiinstigte Magyarische junge Dichter Michael Vitéz sonst
Csokonaigenannt|...] arbeitet fleifig an der ungarischen EpopeeArpadias, die gewif
unserer Nationalpoesie einen neuen Schwung geben wird. Dasich alle seine schonen
klassisch-korrekten Gedichte auch durch eine treffende Nationalindividualitat
auszeichnen, so wird gewiß dieses epische Gedicht auch dazu beitragen, den
hochherzigen, von vielen Ausländern bewunderten Nationalcharakter der
Magyarischen Nation kennen zu lernen. Mit wahrem Vergnügen habe ich einige
seiner anakreontischen Gedichte, die nächstens unter dem Titel Magyar Anakreon
in Druck erscheinen, im Manuscript gelesen. Sie verdienen von glücklichen
Dichtern Ungarns in Teutscher Sprache (wohin ich z. B. von Gruber in Wien
rechne) getreu übersetzt zu werden, damit unserm liebenswürdigen Dichter, auch
die Ausländer die gehörige Aufmerksamkeit schenken und unsere Nationalpoesie
(die sie aus gänzlicher Unkunde der Ungarischen Sprache noch gar nicht kennen)
nicht länger verkennen und verachten.“ "7
Zu beachten ist dabei das Wort „unsere Nationalpoesie“, das einen erneuten
Nachweis dazu liefert, dass für deutschsprachige Ungarn das Bekenntnis zu
Ungarn um und nach 1800 — noch genauso wie für den Verfasser der Frey¬
müthigen Bemerkungen vor der Jahrhundertwende — ohne Rücksicht auf
Nationalität, Sprache und Religion innerhalb des Königreichs eine Selbst¬
verständlichkeit war, wobei sich diese Einstellung durch die geistigen Kohäsi¬
onswirkungen des aufgeklärten Denkens, an dem diese Ungarndeutschen in
Göttingen und Jena im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts geschult waren,
wesentlich stärker als früher oder später behaupten konnte.
Somit widerspiegeln die sechs Jahre währenden jeweils höchst aktuellen
Ungarninformationen im Neuen Teutschen Merkur ein aufgeklärtes, dem
Gedeihen des ganzen Landes verpflichtetes gemeinungarisches National¬
bewusstsein. Das kommt sowohl in den Forderungen nach Aufhebung der
kolonialen Abhängigkeit, nach freiem Handeln, und nach geistiger und religiöser
Toleranz als auch in dem Anspruch auf die gemeinnützige Förderung der
Zivilisation und Kultur zum Ausdruck. Innerhalb der Literatur müsste dabei
jedes Getrenntsein durch die verschiedenen Sprachen im Vielvölkerkönigreich
mit dem Bekenntnis zum gemeinnützigen und produktiven „Wetteifern“ der
Repräsentanten aller Nationalitäten aufgehoben werden. Die Förderung der
Literatur — sowohl der wissenschaftlichen als auch der belletristischen — und
damit verbunden der Sprachpflege erhielt dabei einen zentralen Stellenwert.
Dies folgte notwendigerweise aus der realen Einschätzung der damaligen
welthistorischen und innenpolitischen Lage, in der jede Aktionsfähigkeit der
Bevölkerung des Königreichs Ungarn in den Bereichen derPolitikund Wirtschaft
47 NTM, 1804, H.7,S. 171 f. Verfasser nach Starnes, Prosa-Artikel, S. 179, Nr. 718: „Unterz. X*y
[= vermutlich Rumi]“.