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XI. DER NEVE TEUTSCHE MERKUR ALS QUELLE...

in der Poesie fähig ist, und gewiß gestehen, daß die in Europa so ganz isolirte
Sprache der Magyaren das Studium der sonst so sprachlustigen teutschen
Gelehrten verdiene.!!?

Leider konnten die zwei Proben die „teutschen Literatur-Freunde“ von der
„Schönheit“ und „Energie“ der ungarischen Poesie bei weitem nicht im
erwünschten Maße überzeugen. Nicht weil das zweite Epigramm in keiner
Weise an das poetische Niveau des ersten (von Kazinczy) gemessen werden
kann. Die ungarisch veröffentlichten Verse waren ja von den deutschen Lesern
ohnehin nicht zu verstehen. Sie mussten desillusionierend wirken, weil die so
wichtige deutsche Übertragung misslang. Schon die Übersetzung des Kazinczy¬
Epigramms ist außer dem ersten Vers lediglich eine Interlinearübersetzung,
was an sich schon schlimm genug ist, weil der anhebende Hexameter des ersten
Distichons noch eine echte Nachdichtung vortäuscht, der zweite Vers aber
erst von der dritten Silbe an und nur mit dem Druckbild an den Pentameter
erinnert und der lediglich andeutend und unregelmäßig hervorpulsierende
klassizistische Rhythmus auch im weiteren kaum irgendwelche Illusion von
der ansonsten wiederholt gewürdigten poetischen Tonalität der ungarischen
Sprache nachempfinden lassen kann. Außerdem gibtes aber auch manche unnö¬
tigen sprachlichen Ungereimtheiten, wie z. B. im letzten Vers der befremdend
gekünstelte deutsche Ausdruck „süße Schmeichelmutter“ für das ungarische
lieblich wohlklingende „nyäjas anyäcska“. Dieses Epigramm auf den Tod der
Tochter lautet in beiden Sprachen im Neuen Teutschen Merkur folgendermaßen:

Téged nyájas anyád" Karjáról Ámor ölelt-el,
Isten szép Jegyesed isteni szép Jegyesét.

"S most az Oympus örömtájékai fognak-el immár:
Jaj, de szüléidnek szívek örökre sebes!

Nézz szerelemmel alá rájok, ’s mondd: El (!) Phigie, "s téged
Kedvesatyám, 5 téged nyájas anyácska, szeret.

Kazinczy Ferentz

Dich hat den Armen der liebenden Mutter Amor entschlungen
Der göttlich schöne Bräutigam die göttlich schöne Braut.
Und nun wandelst du die Freudengefilde des hohen Olympus:
Ach! aber das Herz deiner Aeltern trägt eine ewige Wunde.
Blicke mit kindlicher Huld auf sie herab und sprich: es
lebet Iphigenia und ihr seyd von ihr
Du guter Vater, und du süße Schmeichelmutter geliebt!

Franz von Kazinczy"!

110 Ebd., S. 197.
‘tl Ebd., S. 197 f.

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