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5. BELLETRISTIK AUS UNGARN IN DEN KORRESPONDENZNACHRICHTEN

Jahrhunderts mit seinen Alexandrinern, jeweils mit zweimal drei Hebungen
sowie inmitten der Verse mit der deutlichen Zasur und an Versenden mit den
männlich und weiblich variierten Reimen. Ich denke dabei an Carl Friedrich
Drollingers wirksam vernichtende Kritik von 1743’ und bewundere die
ungarndeutsche Dichterin, die mit der einmaligen Entscheidung für die ältere
Formensprache gewagt hat, ihre poetische Eigenständigkeit zu bewahren.
Somit hebt sich ihr Sonett freilich auch von dem ihres Adressaten mit einer
Art Eleganz deutlich ab, wobei es freilich auch in der neueren Geschichte der
deutschen Dichtung die ganz seltene Ausnahme ist.’?

BeiderDurchsicht der vielen Korrespondenznachrichten aus dem Königreich
fällt es einem allerdings auf, dass die größte Aufmerksamkeit jeweils den
ungarisch veröffentlichten Werken gewidmet wurde. Diese Vorrangstellung der
ungarischen Literatur konnte verschiedene Gründe gehabt haben. Einerseits
war die Dichtung der Ungarndeutschen für jeden Leser des Neuen Teutschen
Merkurs auch ohne jede Interpretation verständlich, so schien hierbei ihr
Vermerk mit dem Hinweis auf die jeweiligen Quellen zu genügen, hingegen
bedurfte die sprachlich nicht zugängliche ungarische Lyrik zumindest einer
ausführlicheren Würdigung, unter Umständen einer Rohübersetzung von
manchen Proben, um ihre Werte wenigstens indirekter Weise vermitteln zu
können. Auch die vielen Auskünfte über die ungarische Sprache lassen sich
vor allem damit erklären, dass sie für die Leser unbekannt war. Andererseits
mag eventuell der deutschsprachige Nachklang der spätsentimentalen und
spätklassizistischen Lyrik, wie dies für die ungarndeutschen (auch für die
österreichischen) Gedichte der Zeit so recht bezeichnend war, von der Warte
der Poesielandschaft um Weimar und Jena gewiss für etwas provinziell
gegolten haben, was einer begeisterten Würdigung widerstreben durfte.
Hingegen imponierte trotz mancher ähnlicher Abhängigkeit der damaligen
ungarischen Literatur von der deutschen der Versuch der ungarischen
Literaten, mit den ureigensten Mitteln einer anderen (in europäischer Sicht
bislang unvergleichbar weniger kultivierten) Sprache und mit ihrer bewussten
Erneuerung auf dem Gebiet der Literatur den Anschluss eines sprachlich
isolierten Volkes zum aufgeklärten Europäertum zu finden. Da dabei gerade
die Sprache das eigentliche Mittel der Poesie ist, war den ungarischen Poeten
bei aller damals unumgänglichen Anlehnung an fremde Beispiele auch ein
wesentlich höheres Maß an Originalität und künstlerischer Authentizität
nicht abzusprechen, was die selbständige Entfaltung ihrer veranlagten
Repräsentanten einzigartig begiinstigte.”

Siehe sein Gedicht „Über die Tyranney der deütschen Dichtkunst“.

73 So eine Ausnahme ist z. B. Eichendorffs Sonett u. d. T. „Sonst“ von 1839.

Siehe dazu Tarnöi, Läszlö: „Typologische Verknüpfungen deutscher und ungarischer
Dichtung in der ungarndeutschen Lyrik um 1800.“ In: Neohelicon. Acta Comparationis
Litterarum Universarum, Jg. 19, H. 1, 1992, S. 35-48.

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