Den geschulten Merkur-Autor besanftigte dabei nicht im Mindesten, dass die
 Raizen und die Wallachen noch schlechtere Noten erhielten als die Magyaren.
 Überhaupt passte keinerlei charakterologische Rangordnung der Völker in
 das spátaufklárerische Böttiger-Programm des Merkurs. Noch weniger war
 sie mit den patriotischen Vorstellungen seiner ungarndeutschen Merkur¬
 Korrespondenten vom gemeinsamen Fortschritt zu vereinbaren.
 
Eigentlich stand kaum etwas ferner voneinander in der deutschen
 Presselandschaft als die Leipziger „elegante“ Zeitung und der Weimarer
 Merkur. Sie hatten andere Leser und Autoren, sie befassten sich mit anderen
 Themen, Fragen und Gedanken, vor allem trennte sie aber die jeweils
 charakteristische Attitüde, der oberflächliche Plauderton der Leipziger
 Zeitung und der verantwortungsbewusste Ernst des Merkurs. Sie nahmen
 dabei in ähnlicher Weise kaum Kenntnis voneinander wie heutzutage die
 Boulevard-Presse und die wissenschaftliche Publizistik. Auch in unserem
 „Ausnahmefall“ dauerte es mehr als ein ganzes Jahr, bis man den Text
 vom 8. Mai 1802 in der Zeitung für die elegante Welt zur Kenntnis nahm
 und die Antwort darauf erst im Oktober und November 1803 [!] im Neuen
 Teutschen Merkur veröffentlichte. Die merkwürdige Kollision war aber
 dieses Mal nicht zu vermeiden: Mit den Leipziger „Bruchstücken“ wurden
 ja die Grundwerte des Merkur-Programms, insbesondere wie diese von den
 Auslandskorrespondenten von Ungarn vertreten waren, erschüttert. Leser
 und Autoren des Merkurs konnten ja den Text des Preßburger Verfassers nicht
 anders lesen, als dass damit der Sinn ihrer Anstrengungen für die Verbreitung
 der Ideen der Aufklärung sowie für die Bildung und den kulturellen Aufstieg
 aller Menschen, Nationen und Nationalitäten in Frage gestellt wurden.
 
Die Ansichten des Verfassers des Preßburger Leserbriefes und die der
 Ungarn-Korrespondenten des Merkurs waren miteinander auf keine Weise
 zu vereinbaren: Dazu waren auf beiden Seiten die Differenzen sowohl in den
 kulturhistorischen Positionen wie auch in der Denkweise viel zu groß und
 äußerst angespannt.
 
Der Preßburger Deutsche krönte den ersten Teil seines Briefes z. B. mit dem
 Bedauern, dass die Idee der Einführung „einer Sprache“ (d. h. freilich der deut¬
 schen) im Vielvölkerkönigreich schließlich doch nicht realisiert worden sei:
 
 
Die Verschiedenheit der Sprachen, der Religionen und der Gebräuche, an denen
 sie [d. h. die Ungarn] mit außerordentlichem Enthusiasmus hängen, sind eben
 so viele und große Hindernisse, welche durch eine parzielle Bildung nur noch
 bedeutender werden müßten. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, läßt sich der
 Riesengedanke des großen Josephs, dieses Völkererleuchters, in seiner Monarchie