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4. NUANCEN DES GLÜCKS IN POETISCHER UND HISTORISCHER SICHT

sie sich nicht im mindesten zurückhielt, dieses ihr und ihrer Lánder Glück
im entscheidenden Moment mit allen menschenmöglichen theatralischen
Effekten zu erzwingen.

Aber ob alles tatsächlich so abgelaufen ist, wie es auf Gemälden und in so
vielen poetischen Werken, so u.a. in der Elegie geschildert wurde, dass z. B. die
vor kurzem noch Rebellen sich plötzlich, in einem Bruchteil des Augenblicks,
in der schemengerechten ritterlichen Pose des Magyaren gebärdeten,
einmütig bereit für die Unschuld, für jede Bedrängte, vor allem für Frau und
Kind, alles, und mehr noch, selbst das eigene Leben zu opfern, und außerdem
dass das dankbare Herz der Königin bis nach ihrem Tod, zur Zeit ihrer Enkel
noch, die unversiegbare Quelle des himmlischen Glücks ihrer ungarischen
Untertanen wurde - all dies ist natürlich mehr als fragwürdig.

Ich befasse mich natürlich diesmal nicht nur mit dem wirklichen Leben,
sondern auch damit wie dieses im Bewusstsein, in der Phantasie, in der Kunst
und Literatur abgebildet wurde, d. h. mit dem „zweiten Leben“.’® Daher ist
es vielleicht nicht uninteressant, das ungarndeutsche Bild mit Momenten
aus dem tradierten „zweiten Leben“ der Magyaren zu differenzieren. Freilich
widerspiegelt auch die zeitgenössische ungarische Poesie nicht anders als
die ungarndeutsche Elegie vor allem die uneingeschränkte pathetische
Anerkennung der habsburgischen Königin.” Aber da festigte sich und
verbreitete sich in der mündlichen Tradition auch eine Art triviale Korrektur
des viel zu Pathetischen. Danach sollten nämlich die ungarischen Adligen
nach dem Aufruf „vitam et sanguinem“ das Wort „sed avenam non“ (aber
nicht unseren Korn) durch die Zähne gezischt haben. Bezeichnenderweise
hat dieses „sed avenam non“ heute noch eine viel höhere Frequenz unter den
geflügelten Worten der Ungarn als das „vitam et sanguinem“.*°

Das Engagement der Ungarn für die Königin soll allerdings Friedrich II.
enttäuscht haben: Wie so viele seither mag auch er der Meinung gewesen
sein, dass die Ungarn dieses Mal tatsächlich manche Chancen hatten, von
der Habsburg-Monarchie unabhängig(er) zu werden, wie sie dies noch vor
wenigen Jahrzehnten ohne Erfolg versuchten.

Die möglicher Weise unerwartete Entscheidung des ungarischen Adels
im Jahre 1741 erwies sich dagegen letzten Endes als das Resultat gründlich
erwogener Überlegungen: Das VakuuminderMittedesKönigreichshatnämlich
nicht nur die deutschen Einwanderer angezogen, sondern auch die Türken,

Vgl. Goethe, J. W. v.: Aus meinem Leben. Siebentes Buch. Berlin / Weimar: Aufbau-Verlag,
1971, S. 288. (= Berliner Ausgabe, Bd. 13)

Siehe z. B.: Faludi, Ferenc „Märia Terezia kirälyne asszonyunkhoz“ [An unsere Frau Königin,
Maria Theresia] sowie wichtige Partien in Änyos, Päl „A szeptudomänyoknak äldozott
versek“ [Den schönen Wissenschaften gewidmete Verse]

Lajos Kossuth berief sich auf das sed avenam non des Öfteren in seinen Artikeln der Pesti
Hirlap in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts. Vgl. dazu Békési, István: Napjaink szällöigei
[Geflügelte Worte unserer Gegenwart], Bd. 1. Budapest: Gondolat Könyvkiadö, 1977, S. 306.

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