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IX. BELLETRISTISCHE PROSATEXTE DES DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800 Differenzierung der Handwerker (d. h. innerhalb einer einzigen urbanen Schicht!) unsere besondere Aufmerksamkeit. Damit, dass Klempner und Uhrmacher ein höheres Ansehen hatten und für kultiviertere Menschen gehalten wurden als z. B. Frisöre, konnte freilich selbst der außerstädtische Zeitgenosse, der ungebildete Dörfler schwer zurechtkommen: das weißinit[...], was für ein Unterschied zwischn ein Uhrmocher, und Klompferer, oder Frisern, und Balwierer ist. Neili ist ein Uhrmocher, und ein Klompferer auf der Prominadi spazirn gangen, und da hat der Klampfrer verzöhlt, daß er in Stodtwaldl war, daß er sich aber nit guit unterhaltn hat, wall nix ordentlichs, sondern nur lauter Friseur und Balwierer draußt warn; allso scheint mir, müssen wohl Uhrmocher, und Klampfrer schon extra Knochn seyn; i was aber nit warum, i hab halt alliweil glaubt Handwerker ist Handwerker, einer wie der anderi, müst nur seyn, daß hietziger Zeit die Klompfrer Freykünstler warn, als wie unser Schustenburger alliwiel sagt, er ist ein Freykünstler, aber da heissets wohl, wie man eh bei die grossn Herrn gsagt hat, der aus sich nix macht, der ist nix, nicht wahr??? Was jedem Leser dieser Briefe zuallererst auffällt, ist das ungeschliffene Deutsch, die Mundart, die ungebildete Ausdrucks- und Schreibweise ihres Verfassers. Die Vorbemerkung zu den Briefen gibt dazu den folgenden Hinweis: „Michael [...] kam nicht ganz frühzeitig, sondern erst als seine Aeltern etwas vermöglicher wurden zu denen Studien, doch wegen seinen [sic!] schweren Kopf mit wenigen Fortschritten, macht sich bald nach den [sic!] Tod seines Vaters von den Schulen 10ß.“° Demnach hingen die sprachlichen Nachteile aller Brieftexte mit dem niedrigen Bildungsniveau des gescheiterten Studenten zusammen. Bei allen möglichen tatsächlichen Erlebnishintergründen hatten allerdings diese Hinweise wie auch sämtliche sonst noch verlautbarten Fakten über Michael Rachschiml im Vorwort lediglich die wirkungsstrategische Funktion, den Eindruck der Glaubwürdigkeit dieser merkwürdigen Textsorte vorzutäuschen. Der Gattung nach sind die Berichte des Michael Rachschiml fiktive Briefe belletristischen Erzählcharakters mit stark ausgeprägter humoristischer Attitüde. Freilich ist der Adressatenkreis auch diesmal (nicht weniger wie sonst bei anderen zeitgenössischen Belegen dieses Genres) wesentlich breiter gemeint als der jeweils angesprochene neugierige Vetter und dessen Bekannte, die — wie es ebenfalls in den einleitenden Worten heißt — von diesem jovialen Menschen über die „Neuigkeiten und Begebenheiten in Ofen und Pest [...] gern was erzählen hörten“. Schon die Rentabilität dieser 3° 12. Brief im 2. Heft. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 349. 40 Vorerinnerung, ebd., S. 341. + 220 +