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IX. BELLETRISTISCHE PROSATEXTE DES DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800 gleichzeitig dienenden und mehr oder weniger spannenden Geschichten wetteifern. Solange die letzteren etwa dem Durchschnitt der deutschen Trivialprosa entsprachen, blieben die Erzáhlungen von Gruber lediglich epische Experimente mit dramatischen und lyrischen Texteinlagen und nach deren Erzáhlweise dem urbanen Spátsentimentalismus verpflichtet. Die unglaubwürdige Darstellung des Handlungsablaufs und der makellosen „Tugend“ der Protagonist(inn)en konnte aber auch mit forciertem Einsatz übertriebener sentimentaler Zeichensetzungen, für welche zwar die zeitgenössischen Leser merkwürdiger Weise äußerst rezeptionsoffen waren, kaum eliminiert werden. Wenige Zeitgenossen kannten sich dabei in der Weltliteratur von dem Altertum bis zur jüngsten Gegenwart so gut wie Carl Anton von Gruber aus. Er las mit bewunderungswürdigem Fleiß und stets offenem Interesse von den alten Griechen und Römern sowie von den Italienern, Franzosen und Engländern und freilich von den neuesten deutschen und ungarischen Autoren alles Mögliche?! in der jeweiligen originalen Sprache.” Trotz seiner umfassenden Kenntnisse und seiner Anschließung an die neuesten geistigkulturellen Tendenzen seines Landes und seiner Zeit, wie er das vor allem in seinen beiden umfangreichen Hymnen (und auch in der höchstwahrscheinlich von ihm verfassten Elegie™*) zum Ausdruck brachte, vertrat er bei der theoretischen Auslegung seiner epischen Praxis längst überholte 'Ihesen wie sie von Boileau bis etwa Thomasius, Wolff und Gottsched in Europa kursierten. Danach habe es eine Art Hierarchie aller Werte gegeben, wobei das „Schöne“ nur dem „Wahren“ und dem „Guten“ hätte dienen sollen. Von der frühromantischen Widerlegung dieser Ihesen durch Friedrich Schlegel und Schleiermacher, die Gruber, wie so vieles anderes genau kannte,?* fühlte er sich höchst angewidert. Man lese dazu seine ausführlichen Argumente: Ich habe bey der Bearbeitung des Ganzen mich immer an meinen Boileau erinnert, der sagt: Rien n’est beau, que le vrai. Le vrai seul est aimable. Il doit régner par-tout, & même dans la Fable. Man lese dazu z. B. Grubers Hymnus an Pallas-Athene. Presburg: Bey Georg Aloys Belnay, 1802, S. 55 u. dessen Anmerkungen. Schon die vielen fremdsprachigen Zitate und deren Ubersetzungen in den beiden oben besprochenen Erzahlungen belegen die besonderen Sprachkenntnisse des Dichters. Weiteres dazu siehe im Kap. IV. Friedrich Schlegels „Lucinde“ erschien 1799, „Die vertrauten Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde“ von Friedrich Schleiermacher ein Jahr später. Überraschend ist es dabei, dass Gruber bereits im April 1802 dazu Stellung nehmen konnte! (Man bedenke, dass die deutsch-ungarischen literarischen Rezeptionsvorgänge nicht lange davor im Durchschnitt noch mehrere Jahrzehnte dauerten.) +212 +