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3. MODETRENDS IN DER BELLETRISTISCHEN PROSALITERATUR DER UNGARNDEUTSCHEN Zweitens erfahrt man aber aus Grubers Worten, dass die Deutschsprachigkeit (die der Kultur und deren Rezeption) nicht nur in den Städten, sondern auch in den kultivierten (Leser)kreisen des ungarischen Adels nach 1830 im ganzen Land noch immer äußerst stark vertreten war. Zeitlich und thematisch stimmt die Grubersche Erklärung diesbezüglich vollkommen mit den leidenschaftlichen Stellungnahmen überein, mit denen eine ganze Reihe von Ungarn (wie z. B. István Széchenyi, Miklós Wesselényi, János Hetényi, Mihály Vörösmarty und Sándor Vachott) in den dreißiger Jahren die Deutschsprachigkeit bzw. die deutschsprachigen Leseinteressen des weiblichen Adels kritisierte.?° Die Handlung hat Gruber in ungarische Umgebung gesetzt und ließ darin auch ungarische Gestalten unterschiedlichster Stände agieren. Trotzdem ist in dem Erzähltext das vom Dichter beabsichtigte Ungarische recht spärlich vorhanden. Alle ungarischen Beziehungen bestehen nämlich aus dem Untertitel, dem Vorwort, den Eigennamen, manchen ungarischen Worten, einer von Gruber verfassten ungarischen „Paramythie“ unter dem Titel Lontz Es rösa (freilich auch deutsch: Das Wintergrün und die Rose) sowie aus ungarischen Gedichten (von Verseghy, Revai etc.), wobei die letzteren schon aus dem Grunde nicht besonders auffallen, denn in dieser Erzählung, wie bereits in der Försterfamilie, der Erzähltext dauernd mit Zitaten aus Gedichten der deutschen und der Weltliteratur unterbrochen wird, möglicher Weise um wenigstensin dieser Beziehung den zeitgenössischen deutschen romantischen Erzählungen von Tieck über Brentano bis Eichendorff einigermaßen folgen zu können. Damit bzw. auch mit hin und wieder dramatisierten Textpartien vermochte der Dichter während des Erzählens tatsächlich seine beiden stärkeren Seiten (d.h. sein lyrisches und dramatisches Talent) nachempfinden zu lassen. Der Tenor dieser Geschichte ist aber erneut das Problem der Mesalliance bzw. dass die biirgerliche weibliche Hauptgestalt, an eine Ehe mit dem Angebeteten aus dem höheren Adel trotz gegenseitiger Liebe nicht einmal denken dürfe. Sittliche Haltung heißt in diesem Falle, die Liebesleiden der Hoffnungslosigkeit zu akzeptieren. Da gibt es freilich wieder schlaflose Nächte, Seufzen, Schluchzen und Zähren, bis der epische „Salto mortale“ erneut alles zum Besten wendet: Es stellt sich dieses Mal heraus, dass die Hauptgestalt Margit die Tochter eines Barons ist, so werden Margit und Lajos bei vielen Eljen-Rufen ein glückliches ungarisches Brautpaar. Die Epik von Gruber hat weder das Niveau seiner Prosaidyllen, (freilich noch weniger das seiner lyrischen und dramatischen Werke) erreicht, noch konnten sie mit Herdts interessanten, der Unterhaltung und der Erziehung 2 Vgl. dazu die kritischen Anmerkungen in: Vörösmarty Mihäly: Összes müvei [Sämtliche Werke], Bd. 2. Budapest: Akadémiai Kiadó, 1960, S. 669-675. e 211 e