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IX. BELLETRISTISCHE PROSATEXTE DES DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800

Aus der regionalen Trivialprosa des Königreichs ragen eigentlich nur die
Idyllen von Carl Anton von Gruber, außerdem die zweibändigen Gedanken
und Skizzen des Pest-Ofner Schauspielers Karl Herdt und als besonders
interessantes und seinerzeit für höchst modern empfundenes Prosa¬
Experiment die stimmungsvollen Tageszeiten in mahlerischen Scenen¬
Darstellungen von Norbert Purkhart und Christoph Rösler hervor.

Die Gruberschen /dyllen waren gelungene Nachbildungen jener von Salo¬
mon Geßner. Sie erschienen nur wenige Jahre nach der ungarischen Ausgabe
der Idyllen des Schweizers in der Nachdichtung von Ferenc Kazinczy. Allein
diese Tatsache beweist, dass Gruber bereits zur Zeit seiner ersten Anfänge
genau gewusst hat, was seine deutschsprachigen Landsleute in Ungarn
brauchten. Hinzu kommt, dass sich dank der überdurchschnittlichen
lyrischen und dramatischen Begabung dieses ungarndeutschen Dichters
gerade auf diesem Gebiet der Kunstprosa wesentlich größere Möglichkeiten
zur künstlerischen Selbstentfaltung ergaben als mit Prosatexten rein
epischen Charakters. So ist ihm trotz unleugbarer Anlehnung an das
Schweizer Vorbild (dies wurde von Gruber überhaupt nicht verheimlicht)
diesmal tatsächlich gelungen, auch in der Kunstprosa erfolgreich zu
werden. Gruber verstand u. a. dem Geschmack jener Zeit entsprechend in
den lyrisch-dramatischen Monologen und Dialogen seiner Idyllen einander
im Grunde genommen widerstrebende sentimentale und Rokoko-Attitüden
vorbildlich miteinander zu verflechten. Er kam sogar mit manchen
ungarischen (historischen) Motiven seinen Adressaten entgegen,’ als er
darin z. B. Erinnerungen an die verheerende Niederlage der Ungarn in
Mohäcs thematisierte. Es ist kein Zufall, dass die /dyllen sechs Jahre nach
der ersten Preßburger Veröffentlichung in Wien mit erweitertem Inhalt ein
zweites Mal herausgegeben wurden.

Karl Herdt verstand in beiden Bänden seiner Geschichten‘ die span¬
nende Erzählweise der trivialen Unterhaltung und den Vortrag gängiger
Grundmuster von Nutzen versprechender aufgeklärter Lehrhaftigkeit sowie
das Nachempfindenlassen von Harmonieempfindungen durch sentimentale
Rührung mit hoher technischer Versiertheit miteinander zu verbinden,
wenn auch die Akzente sich im Laufe des epischen Vortrags hin und
wieder in die eine oder andere Richtung verschoben. Die Erzählungen von
Verführung (Friederike die verführte), von gewaltsamer tragischer Trennung
der Liebenden (Karl und Klärchen), von beispielhafter Rechtschaffenheit

5 Gruber, Carl Anton von: Der karpatische Hirt. Eine vaterländische Idylle. In: Idyllen v. Carl
Anton Gruber Edlen von Grubenfelß. Preßburg: bei Philipp Ulrich Mahler, 1794, VI; 128 S.
In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 394 f. Siehe auch Ludwigné Szepessy, S.
21-23.

Gedanken und Skizzen von Karl Herdt, Schauspieler der beiden königlich städtischen
Theater von Ofen und Pest. Erster und Zweyter Band. Pest: Gedruckt bey Matthias Trattner,
1796-1797, S. 112, 146. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 405-471.

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