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3. MODETRENDS IN DER BELLETRISTISCHEN PROSALITERATUR DER UNGARNDEUTSCHEN

ihrem reichen Angebot das Königreich vor und nach 1800, in dessen Stadten sie
die breitesten Schichten der urbanen Leser(innen) erfreuten.? Man kann wohl
verstehen, dass Gruber manche Bedenken hatte, bevor er Die Försterfamilie,?
seinen ersten Erzähltext im Jahre 1803 veröffentlichte:

Ich gestehe es hier frey, daß dieser Roman eigentlicher, eine Erzählung, mein
erster Versuch in einer Dichtungsart ist, mit der seit vielen Jahren her das lesende
Publikum ziemlich versehen worden ist. Lange konnte ich mich nicht entschliessen
in einer Dichtungsart aufzutreten, die nur dem Stümper ein leichtes Stück Arbeit
scheinen kann. Die vorzüglichen Romane gebildeter Nationen schreckten mich ab.
Diesen vortreflichen Geistesproducten nachringen zu wollen, wäre Thorheit, und
unter dem Wust von Sudeleyen zu stehen, offenbare Schande.?

3. MODETRENDS IN DER BELLETRISTISCHEN
PROSALITERATUR DER UNGARNDEUTSCHEN

Die besten ungarndeutschen Prosatexte entsprechen den zeitgenössischen
mitteleuropäischen Modetrends in der urbanen Trivialprosa. Ihre der
Aufklärung verpflichteten Autoren und Adressaten waren um 1800 weder
in Deutschland noch in Ungarn bereit, sich von den komplizierten — eher
für irritierend als amüsierend und lehrreich gehaltenen — Erzähltexten der
zeitgenössischen Elite, etwa von denen von Goethe oder den Frühromantikern,
beeindrucken zu lassen. Indem sich die deutschsprachigen Autoren
im Königreich vor und nach 1800 den bürgerlichen Lesererwartungen
entsprechend meistens in hohem Maße zweckorientiert für die Realisierung
direkter Bildungs- und Erziehungsziele durch Poesie mit mehr oder
weniger unterhaltendem Charakter einsetzten, vertraten sie ähnlich
wie die zeitgenössischen deutschen Modeautoren die spätaufklärerische
Reproduktion aller möglichen Tendenzen einer in der literaturhistorisch
repräsentativen deutschen Dichtung bereits anachronistisch gewordenen
Belletristik. So war man auch in den Städten des Königreichs vor allem für
rational lehrreiche Geschichten, außerdem für Idyllen mit zurückhaltender
Rokoko-Erotik und ganz besonders für die um 1800 europaweit für äußerst
modern empfundenen sentimentalen Erzählungen offen.

? Siehe dazu den Kapitelteil II/3 unter dem Titel „Lesebegierde im deutschsprachigen Pest-Ofen“.

? Gruber, Carl Anton von: Die Försterfamilie. Wien: bey Anton Pichler, 1803, VIII; 112 S. In:
Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 490-533. Siehe auch Ludwigne Szepessy, Ilona:
Grubenfelsi Gruber Karoly Antal hazai német író élete és irodalmi működése [Leben und
literarisches Wirken des ungarndeutschen Schriftstellers Carl Anton Gruber v. Grubenfels].
Székesfehérvár: Egyházmegyei Ny., 1918, S. 35—38. (- Arbeiten zur deutschen Philologie —
Német philologiai dolgozatok, XXIV)

1 Gruber, An meine Leser, ebd., S. III-IV, 490.

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