OCR
IX. BELLETRISTISCHE PROSATEXTE DES DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800 o> 1. PROSA UND/ODER POESIE Prosa soll diesmal nicht — wie in vielen klassischen und modernen terminologischen Auslegungen - als Gegensatz von Poesie verstanden werden. Ich gebe zwar zu, folgende Argumentation von Christoph Rösler, dem erfolgreichen Literaturorganisator des deutschsprachigen Ungarn und aktiven Mitgestalter des literarischen Lebens im Königreich in den ersten anderthalb Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, stimmt nicht nur mit denen von vielen seiner Vorgänger, Zeitgenossen, ja sogar Nachfolger überein. Sie mag auch für eine ganze Reihe von „Prosaisten“ seiner Zeit ihre Gültigkeit haben, wenn er diese von den „Poeten“ u. a. folgenderweise trennt: Prosaistund Poetsindin Ansehung [der] Darstellung [...] sich ganz entgegengesetzte Extreme. Jener muß präparatorisch seine Gedanken entwickeln und das Interesse des Lesers durch ausführliche Erörterungen gleichsam erschleichen; diesem aber liegt es ob, durch Vereinfachung des Gedankens, durch Concentrirung der Diction zu überraschen. Der Prosaist soll beweisen; der Poet muß imponiren, entzücken.! Doch gibt es sogar auch um 1800 vielerlei Texte (Reden, Aufsätze, Briefe, Erinnnerungen etc.) mit leidenschaftlichem Engagement für und wider verschiedene Interessen und Ziele, die wirkungsstrategisch mehr oder weniger durchdacht oder gar instinktiv poetisch geformt, daher auch vielfach „concentrirt“ und so im Endeffekt „‚imponirend“ sind und bei verständnisvoller Offenheit des jeweiligen Adressaten für den Autor und seinen Text unter Umständen sogar für „entzückend“ gehalten werden können. Wenn man Rösler zustimmen kann, der im Weiteren behauptet, dass der wahre Poet seine Werke im Gegensatz zum „Prosaisten“ durch Versinnlichung abstrakter und Abstraktion sinnlicher Begriffe zustande bringe, so kann das Poetische wenigstens manchen Prosatexten am Anfang des 19. Jahrhunderts gewiss nicht abgesprochen werden. ! Rösler, Christoph: An Ungerns deutsche Dichter und die es werden wollen. Mit einem Prolog und Epilog für das gemischte Publikum. In: Ungrische Miscellen, 1807, H. 3, S. 27-37. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 188. + 201 +