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4. PRIVATE BRIEFE IM DIENSTE DER ÖFFENTLICHKEIT

4. PRIVATE BRIEFE IM DIENSTE DER ÖFFENTLICHKEIT

Ferenc Kazinczys riesige ungarische und deutschsprachige Korrespondenz
enthielt jeweils unmittelbare private Reflexionen auf den Stand und den
möglichen Fortschritt der Kultur sowie auf literarische Einzelleistungen
seiner ungarischen und europáischen Zeitgenossen. Damit schuf er im Laufe
der Jahre intensive Beziehungen zum geistigen Ungarn in allen Ecken und
Enden des Landes, Impulse gebend, nehmend und austauschend. Diese seine
Korrespondenz wuchs somit schließlich zu einer einmaligen öffentlichen
Institution im literarischen Leben des Königreichs, welche die damals noch
fehlende Akademie der Wissenschaften und das eigentliche kulturelle Zentrum
des Landes ersetzte.” Eine ähnliche Funktion zwischen Privatem und
Öffentlichem nahmen auch die deutschsprachigen Briefe des Karl Georg Rumy
ein — mit manchen privaten Briefen sowie an die Öffentlichkeit geschriebenen
Leserbriefen und Korrespondenznachrichten bereits die Grenzen des Landes
überschreitend mit einer nachhaltigen Ausstrahlung auf den ganzen deutschen
Sprachraum.” In den Briefen des Palatins Joseph an den königlichen Bruder
wurde dagegen die private Vertrautheit vom amtlich Geheimen verdrangt.”

Auf ganz unterschiedliche Weise griffen diese privaten Briefe in das
öffentliche Leben aller Zeitgenossen ein, sie wurden ihnen allerdings
im Gegensatz zu den privaten tagebuchartigen Briefen von Bredetzky,
Köröskenyi, Batthyänyi, Hofmannsegg u. a. wenigstens in ihrer Gesamtheit
nie zugänglich, erschienen ja Kazinczys Briefe erst um und nach 1900, die von
dem Palatin Joseph im Jahre 1925 und schließlich die von Karl Georg Rumy
bis heute nur fragmentarisch.

5. FIKTIVE BRIEFE BELLETRISTISCHEN CHARAKTERS

Bei nicht ausreichender Erschließung der Entstehungsgeschichte der
jeweiligen Briefe (und dies ist im Rahmen dieses Forschungsobjekts recht oft
der Fall) ist es selbstverständlich äußerst schwierig nachzuweisen, wo und
wann die Fiktion beginnt, noch schwieriger aber dürfte die Abgrenzung der
belletristischen Briefe von den übrigen Schriften sein. Ohne jeden Zweifel

Váczi, János / Harsányi, István (Hgg.): Kazinczy Ferencz levelezése [Die Korrespondenz
von F. K.]. 22. Bde. Budapest: Magyar Tudományos Akadémia [Ungarische Akademie der
Wissenschaften], 1890-1927.

Siehe dazu die Dissertation von Hilöczki, Ägnes: Rumy Karoly György. Forräskutatäs &s
biogräfia [Karl Georg Rumy. Quellenforschung und Biographie]. Budapest: Eötvös-Loränd¬
Universität, 2003, 173 S. [unv. Manuskript]. Verfasserin bereitet zur Zeit die Publikation der
Korrespondenz v. K.G.R. vor.

József nädor iratai [Akten des Palatins Joseph]. Hg. u. Anm. von Sändor Domanovszky. Bd.
1, 1792-1804. Budapest: Magyar Törtenelmi Társulat, 1925, 769 S.

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