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VII. DEUTSCHSPRACHIGE SCHAUSPIELKUNST UND DRAMATIK IM ALTEN PEST-OFEN

ungarischen Kultur, d.h.so gut wie alles, was davon vor und nach 1800 etwaein
halbes Jahrhundert lang angeboten war, wurde von der ungarischen Nachwelt
wegen der später (von etwa 1830) stets fremder empfundenen deutschen
Sprache aus der kulturhistorischen Erinnerung Ungarns schließlich mit
rigoroser Konsequenz ausgeklammert.

Dies betrifft im ungarischen Königreich gleichermaßen die Poesie und
das Pressewesen wie auch die wissenschaftlichen Studien, Korrespondenzen,
Tagebuchtexte, Memoiren und freilich auch das deutschsprachige
Theaterleben, ja sogar nicht weniger die deutschsprachigen religiösen
Predigten. An dieser Stelle sei an die zwei wirksamsten deutschsprachigen
Redner und gewiss größten Künstler der religiösen Rhetorik in der
hauptstädtischen Region in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnert,
an den Protestanten Cleynmann” in Ofen und den Franziskaner Albach’”’ in
Pest. Die Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit und Kunst war genau so wie die
der Schauspieler jeweils dem Augenblick verpflichtet. Das Wissen über ihren
Einfluss auf die zeitgenössische Elite des Landes — so auf Ferenc Kazinczy,
Istvan Széchenyi und viele andere — ist im kulturhistorischen Bewusstsein
des gegenwärtigen Ungarn noch weniger vorhanden als die Kenntnis der
Bedeutung der gleichzeitigen deutschsprachigen Bühnenkunst.

Fehlen einem Interesse, Fleiß und Ausdauer nicht, so kann man freilich
der poetischen Kunst der deutschsprachigen Ungarn auf manchen vergilbten
Drucken auch heute noch begegnen. Zur Kunst und vor allem zur Atmosphäre
und Wirkung ihrer Theater — wie auch der Kanzeln - führen aber leider nur
noch die schmalen und unsicheren Wege der stets subjektiven Vermittlung
des einst Erlebten in den gelegentlich höchst voreingenommenen und
meistens auch bloß zufällig erhalten gebliebenen Augenzeugenberichten.

8. AUGENZEUGENBERICHTE DEUTSCHER UND UNGARNDEUTSCHER
THEATERBESUCHER IM ALTEN PEST-OÖFEN

Äußerst unterschiedlich, manchmal auch recht unzuverlässig fielen die
kritischen Ansichten der vorübergehend im alten Pest-Ofen verweilenden
ausländischen Theaterbesucher aus. Ihre Stellungnahmen kombinierten oft
mehr oder weniger die jeweils momentanen Impressionen im Theater mit
der meist unbewussten Rechtfertigung allgemein tradierter oder individuell

7° Von.der außerordentlichen rhetorischen Wirkung von Karl Cleynmann berichtet z.B. Ferenc
Kazinczys Brief an K. G. Rumy vom 27. Oktober 1808 recht ausführlich. In: Deutschsprachige
Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 336.

Seine besondere Bedeutung belegen u. a. die unzähligen Notizen in den Tagebüchern von
Istvan Szechenyi. Zur Person und Wirkung siehe Stift, Hildegard: Joseph Stanislaus Albach.
Leben und Werk. [unv. Diplomarbeit] Piliscsaba: Katholische Päzmäny-Peter-Universität,
2000, S. 113. [unv. Manuskript]

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