4. ENGAGEMENT FUR DEUTSCHE — UNGAR(N) ALS FREMDBILD UND FEINDBILD
Vater, Jacob Glatz, gewesen ist — dem Königreich Ungarn verbundene
deutsche Bürger werden: „Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem
Manne anhängen!“ - sprach er mit dem Bibelwort.°” Auch Kertbeny lehnte
alle möglichen „gesamtdeutschen“ Positionen seiner deutschsprachigen
Landsleute entschieden ab, indem nach ihm „manche Deutsche in Ungarn
noch immer Deutsche des Märchens vom deutschen Reiche sein wollen,
und sich oftmals gebärden, als säßen sie bei sächsischen Kartoffeln statt bei
ungarischem Braten“.‘ (Die letzten Worte hätten auch die in nationalen
Fragen unduldsamen Mitglieder der ungarischen Trias in den dreißiger
Jahren schreiben können.)
Karl Maria Kertbeny wusste aber bereits vor 1848 genau, dass für einen
deutschen Dichter in Ungarn nicht mehr viel Spielraum übrig blieb. Die
besten, Lenau, Beck u. a. so schrieb er „entzogen ihr Talent der Heimat“.
So entwickelte er als — wie er schrieb — deutschsprachiger Patriot Ungarns
bewusst ein kulturpolitisches Programm der Arbeitsteilung, bei dem er sich
auf die volle Zustimmung seiner magyarischen Landsleute stützen konnte:
Während die ungarischen Schriftsteller das Haus bauen, wollen wir den Wald
lichten, um eine freie Aussicht zum Nächsten Nachbar zu haben. Und wir und
unser Nachbar, wir können beide nur gewinnen |[...], mögen daher die Ungarn die
innere Entwicklung des Landes immerhin zum Vorwurf behalten, und mit Liebe
und Geduld aus diesem königlichen Marmor einen Tempel des Fortschritts und der
Wahrheit aufbauen; wir deutschen Schriftsteller Ungarns, wollen unsere Heimath
dem Ausland gegenüber vertreten, jene Wechselverbindung des geistigen Lebens —
die Göthe in seiner Idee zur Weltliteratur so herrlich kroquirte - für unsern Theil
zwischen Ungarn und Deutschland hegen; den Austauschkanal unserer nationälen
Verständigung öhlen, selbst uns offen den Nachbar zeigen, damit es nicht nöthig
habe Fabeln zu glauben, und so auf Beider kosten für Beide Nutzen erziehen. Wir
gehorchen damit der Bürgerpflicht gegen unsere jetzige Heimath, und tragen
zugleich Dank an Deutschland ab, von dessen Milch wir unseren Geist genährt.“”
Damit entstand das Programm von der kulturellen Vermittlerrolle der
ungarndeutschen Autoren, dem Benkert-Kertbeny sein ganzes Leben lang
treu blieb. Der Traum von einem selbständigen deutschsprachigen litera¬
rischen Leben im Vielvölkerkönigreich Ungarn war aber damit ein für allemal
ausgeträumt.
Glatz, Eduard: Über deutsche Einwanderung in Ungarn. In: Jahrbuch des deutschen Elements
in Ungarn, siehe Anm. Nr. 2, S. 108.
6° Benkert, Carl Maria, ebd., S. 5 f.
61 Ebd., S. 6.
62 Ebd., S. 8.