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VI. INHALTSTYPOLOGISCHE VERANDERUNGEN IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN DICHTUNG...

Man bekannte sich deutsch zum Bürger des Landes und zur Aufklärung:

Wer die Gesetze des Landes verehret der heißet ein Bürger,
Wer das Gesetz der Natur heiligt, der heißet ein Mensch!

— schrieb z. B. Samuel Ludvigh.°” Und doch fühlte man sich in Ungarn als
deutschsprachiger Bürger und Dichter in einer Zeit und in einem Land, wo
sämtliche aufgeklärten Ideale des europäischen Bürgertums Jahr für Jahr
immer prägnanter im bereits unwiderlegbaren intellektuellen Modebegriff
des politischen „Republikanismus“ ihren Ausdruck fanden, recht oft gerade
in die antirepublikanische Ecke getrieben, war ja der Republikanismus
jener Jahre auch mit dem Sprachnationalismus auf das Engste verbunden.
Welche Ängste in einem (möglicherweise aus der Zips stammenden‘?)
deutschsprachigen Autor mit dem Pseudonym G. T. in der Hauptstadt des
Königreichs in den Jahren des immer deutlicheren politischen Fortschritts
aufkommen konnten, mögen hier folgende Proben’ aus der Xenien-Debatte
des Pesther Tageblattes von 1841 veranschaulichen:

1.
Unruh’, Larmen im Haus, in jeglicher Ecke Verwirrung,
Das behaget dem Kind, jauchzet und tobet darein:
So als Jüngling war ich ein mächtiger Republikaner;
Denn wo jeder gebeut, kam auch das Herrschen an mich.

Aber seit ich ein Mann, scheint nöthig mir das Gehorchen;
Denn wo alles befiehlt, gehet die Wirthschaft zu Grund.

2.
Freiheit und Gleichheit! So heißt es in amerikanischen Staaten,
Und wir lallen es nach, Jeglichem wässert der Mund;
Aber die Schwarzen, mein Freund, die singen ein anderes Liedchen,
Klagen, sie wären nicht frei, meinen, sie wären doch gleich.
Enthusiasten! wär’t ihr doch schwarz ein wenig geboren,

Dass zu eurem Lob schwänge die Peitsche der Herr.

Dass auch die letzteren Verse Anspielungen auf tatsächlich erlebte Verhält¬
nisse der Minderheiten im Königreich Ungarn enthielten, wussten alle zeitge¬

52 Ludvigh, Samuel von: Bürger, Mensch, Held. In: L., S. v.: Gedichte, S. 68.
53 Siehe dazu das weiter unten zitierte Echo der Xenien!
54 [T., G.]: Xenien unseren Politikern. In: Pesther Tageblatt. 3. Jg., den 21. April 1841, Nr. 94, S. 385.