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VI. INHALTSTYPOLOGISCHE VERANDERUNGEN IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN DICHTUNG... Mein Vaterland, Gesegnet Land! Wohl hast du auch den Gram gekannt, Als du von Heiden überschwemmt; Doch hast du tapfer stets gedämmt Mit ehrner Brust die wilde Fluth, Mit Heldenmuth Die Heidenwuth. Das Gedicht enthält keinerlei lyrische Innovationen. Wie bereits vierzig Jahre davor, wurden darin sämtliche positiven Klischees Jahrhunderte alter in- und externer Ungarnbilder aufgeboten (Schönheit der Natur, Reichtum der Bodenschätze, heldenmütiges Volk, Beschützer der Gläubigen, jedoch friedliebend, seit König Stephan dem Christentum treu und mit paradiesischen Zukunftschancen etc.) Wie es sich in einem engagiert patriotischen Gedicht gehört, wurden dabei aus der Ungarnstereotypie die sonst ebenfalls geläufigen Negativa grundsätzlich ausgeklammert. Außerhalb des Königreichs verbindet nämlich in der jeweiligen Ungarn-Charakteristik (so u.a. von Goethe, Friedrich und Dorothea Schlegel, Ernst Moritz Arndt, Ignaz Castelli) bei allenindividuellen Akzentverschiebungen immer wieder das adversative Aber die seit eh und je geläufigen Klischees: Demnach sei zwar der Boden reich, aber leider nicht kultiviert, das Volk mutig, aber roh und ungebildet und ohne Ordnungsliebe, die Bevölkerung zwar christlich, aber wegen deren Zurückgebliebenheit in hohem Maße der Aufklärung und hierzu freilich der Hilfe und Unterstützung wohlwollender Deutscher bzw. Österreicher bedürftig.* Das engagierte Ungarnbild wurde diesmal nicht einmal mit der sonst, vor allem in der ungarischen Lyrik, recht geläufigen poetischen Gegenwartskritik (z. B. mit dem häufig verwendeten romantischen Gegensatz der heroischen Ahnen und der „ohnmächtigen‘“, ja sogar sittlich entarteten Enkel sowie mit historischen Schuldbekenntnissen) differenziert. Man vergleiche dazu die patriotische Dichtung der Ungarn. Das Gedicht repräsentiert den überwiegend größten Teil der deutschsprachigen lyrischen Bekenntnisse zu Ungarn vor der Jahrhundertmitte, und es steht somit stellvertretend für sämtliche Gedichte, die im Weiteren als Typ I. bezeichnet werden. Die Tatsache, dass der Verfasser, Carl Hugo, ein deutschsprachiger Ungarjüdischer Herkunft war, untermauert, dass esbeieiner angestrebten gehaltstypologischen Gliederung des lyrischen Materials auch in den Vormärzjahren sinnlos zu sein scheint, innerhalb des deutschsprachigen literarischen und kulturellen Lebens zwischen ungarndeutschen Bürgern, deutschsprachigen Juden sowie deutsch schreibenden ungarischen Adligen des * Mehr darüber siehe im Kap. XII u. X1/4. «138 +