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V. UNGARNDEUTSCHE HEIMAT- UND VATERLANDBILDER UM 1800 Die Gedichte der beiden Bánde reflektieren dagegen von Land und Heimat überhaupt nichts. Auf Ungarn weisen ausschließlich der Titel und das Vorwort hin. Beide sind nichts Weiteres als pure Werbetexte, um damit dem Interesse der städtischen Leser(innen) in Deutschland für exotische Themen entgegenzukommen. Eine Art captatio benevolentiae schimmert durch den ganzen einleitenden Text, nach dem mit den Gedichten - wie die Autorinnen behaupteten - lediglich dem kulturell zurückgebliebenen Vaterlande hätten Dienste erwiesen werden sollen: „in unserem Vaterlande sind poetische Originalwerke noch so selten, und es ist so wenig aufmunternder Wetteifer unter Schriftstellern dieser Art, dass Anfangs auch unvollkommene Versuche nützlich seyn können.“ Auch in der Fortsetzung wird es allerdings deutlich, dass die Autorinnen mit der Berufung auf Ungarn, wie auch aufihre weibliche Verfasserschaft, in erster Linie nur das verständnisvolle Wohlwollen der Kritiker zu erheischen beabsichtigten: „Sollten sich Sprachfehler und Provincialismen finden, so bitten wir es mitunserm Geschlecht und Vaterland [...] zu entschuldigen.” Ihre Poesie beweist, nichts ist ihnen fremder als diese Heimat, diese Provinz, dieses Land. Beziehungen zu den Fluren des damaligen Ungarn schimmern lediglich in einem einzigen Gedicht, in An die Waag bey P., durch. Das Wort Heimat erscheint in dieser Poesie vor allem in religiösem Kontext (z. B. als Heimath der Seele”) und das Wort Vaterland nur mit dem politischen und patriotischen Engagement für „Austria“, „Kaiserfahn“, „Ieutschlands Stärke“ und „Fürstenbund“ und jeweils mit der Hoffnung verbunden, dass die „rächende Axt [...] schon den Freiheitsbaum fällt“ ’° Auch Vergangenheitsbilder beziehen sich nirgends auf die ungarische Geschichte, etwa auf Ärpäd, St. Stephan, Matthias, dagegen wiederholt auf „den blutigen Kampf Herrmanns“’ sowie auf Stoffe des deutschen Hochmiittelalters,?! jeweils das deutsche Vaterlandsbewusstsein artikulierend. Von dem für provinziell gehaltenen heimatbezogenen Patriotismus ihrer ungarischen Landsleute haben sich Therese von Artner und Marianne Tiell mit ironischen Worten distanziert: „Unsere Landleute denken sehr patriotisch; vielleicht reitzt sie eine Schalmey auf vaterländischer Flur eher zur Nachahmung, als die kunstreiche Flöte, die ihnen aus fremder Ferne verhallend herüber tönt.“?? 27 Ebd., Bd. 1. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 333. 28 Artner, Therese von: Die Heimath der Seele. Ebd., Bd. 2, S. 146 f. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 53 f. 2° Artner, Therese von: Die Schlacht bey Maynz am 19ten October 1795. Ebd., Bd. 1, S. 113119. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 53 f. 30 Ebd. 31 Artner, Therese von: Der arme Franz. Eine Ballade. Ebd., Bd. 2, S. 126-145. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 41-52. 32 Ebd., Bd. 1, S. V-XII. + 126 +