In zeitgenössischer Sicht der meisten ungarndeutschen Schriftsteller zogen
die Sprachunterschiede nicht nur zwischen Magyaren und Deutschungarn
keinerlei Grenzen, sondern auch zwischen diesen beiden und allen übrigen
Völkern des Königreichs. Das eine Vaterland habe nach ihnen alle seine
Völker einheitlich miteinander verbunden: Dabei wurden sprachliche
Differenzen und eigenständige kulturhistorische Traditionen schon gar nicht
als völkertrennende Phänomene erlebt. Ganz im Gegenteil war man schon
eher bestrebt, mit deren Kenntnis bzw. Erschließung dem Gemeinwohl der
ganzen Bevölkerung Ungarns zu dienen.
Darum hatte Johann Ludwig Schedius in allen seinen dem Vaterland
verpflichteten Programmen stets alle Nationalitäten des Königreichs
vor Augen, so z. B. im Jahre 1798, als er in seinem Literärischen Anzeiger
eingangs alle „in Ungern (im weitesten Sinne, d. h. Siebenbürgen, Croatien,
Slavonien mitgenommen) erscheinenden Schriften“ in sein Blickfeld zu ziehen
beabsichtigte.'” Auch im literarischen und wissenschaftlichen Programm
von Johann Karl Lübeck zu seinen Ungrischen Miscellen von 1805 wurde
im Vorwort als erste Aufgabe die Erforschung und Bekanntmachung der
„Charakteristik“ aller Völker „Ungerns“ genannt."®
1811 erschien als Einzeldruck ein langes Gedicht unter dem Titel Eine
Ode am Altare des Vaterlandes.” Der Titel, die anschließenden einleitenden
Partien” von der wunderschönen Harmonie (mit hohen Bergen, breiten
Flüssen, „reichen Triften“, „weiten Pusten“ etc.) und der reichen Gaben der
Natur (Gold, Silber, Kupfer, Borstenvieh, Rinder, Korn, Wein etc.), wie auch
der Ausklang mit Geschichtsbildern (z. B. von Ärpäd und Hunyady) bis zum
feierlichen Lob der weisen Lenkung des Staates durch den Palatin Joseph in der
Gegenwart verherrlichen die unteilbare geographische, politische, historische
Einheit des „göttlichen Vaterlandes“. Unter unserem Aspektsind allerdings die
ins Zentrum der Ode gesetzten alkäischen Strophen”! von außerordentlicher
Bedeutung, in denen es um die Menschen des Vaterlandes geht:
Schedius, Johann Ludwig: Vorbericht. In: Literärischer Anzeiger für Ungern. Erster Jahrgang
1798, Erstes halbes Jahr, Pest, Nr. 1, S. 9-12. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3,
S. 20-24.
8 Ungrische Miscellen. Hg. v. Dr. Johann Karl Liibeck. Bd. 1. Pesth: Konrad Adoloph Hartleben,
1805. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 345 f.
19 Dorion, D. C.: Pannonia. Eine Ode am Altare des Vaterlandes. Pesth: Trattner, 1811, 10 S. In:
Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 98-101.
Vgl. dazu auch die Besprechung der Ode unter einem anderen Aspekt im Kapitelteil X1/4.
?! Die Strophen 19-25.