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5. DIE ZEIT DES MATTHIAS CORVINUS UND DIE VERLORENE UTOPIE

die Zukunftserwartungen der deutsch geschriebenen Elegie von 1807 bereits
der charakteristischen reformpolitischen Devise der Ungarn ,,Vaterland und
Fortschritt“? verpflichtet.

5. DIE ZEIT DES MATTHIAS CORVINUS UND DIE VERLORENE UTOPIE

In der Elegie wurde die weit größte Bedeutung aus der ungarischen
Geschichte dem Konig Matthias, seiner humanistischen Weltsicht und seiner
kulturhistorischen Wirkung beigemessen: In sein ehemaliges ungarisches
Königreich ließen sich die Fortschrittsutopien der an der Aufklärung
geschulten Intelligenz am leichtesten hineininterpretieren und damit
gleichzeitig die Hoffnungen auf den geistigen und materiellen Aufstieg des
ungarischen Vaterlandes verbinden. In diesem Sinne nannte der Verfasser
Matthias’ Zeit „das goldene Alter“, in dem sich einst die „Aufklärung“
(so lautet diesim Gedicht sogar wörtlich!) „vom Throne zur Hütte“ ausgebreitet
habe. Ähnlicher Weise staut sich in den feierlich vorgetragenen Versen ein
Vokabular mit Wörtern und Ausdrücken, die eindeutig aus der Begriffswelt
der deutschen Aufklärung entlehnt wurden. Im Ganzen skizzierte der Dichter
damit schließlich ideale menschliche Beziehungen aufgeklärter Utopien, das
heißt einer virtuellen Welt, die es freilich weder in der Zeit von Matthias
Corvinus, noch irgendwann davor bzw. später gegeben hat. Dem Gehalt
nach erhielten sie im langen Gedicht eine zentrale Bedeutung, die freilich
auch die gewählten Stilmittel der poetischen Erzählweise in diesen Versen
nachempfinden lassen. Beachtenswert sind z. B. die kosmischen Metaphern
am Anfang und am Ende dieses Teiles mit dem hell leuchtenden Sonnengang
unmittelbar nach den dunkel-düsteren Bildern der Verwüstung des Landes
durch die Tataren und schließlich vor der katastrophalen Zeit der türkischen
Besatzung - letztere stilgerecht auch mit dem aufgehenden Mond angedeutet:

Dort, wo die Sonne die Fluren, vom Blute geröthet, beschienen,
Sah nun der dämmernde Tag Bilder der Seligkeit nur.

Sollten o gütige Gottheit, die glücklichen Zeiten noch werden
Die einst Matthias uns schuf, die noch begeisternd man nennt;

„Unser Wahlspruch war Vaterland und Fortschritt“ — hieß esin der Rede des Dichters und von
1832 bis 1835 Landtagsabgeordneten des Komitats Szatmär, Ferenc Kölcseyam9. Februar 1835,
als er sein Mandat niederlegte. Im Prinzip summiert dieser in Ungarn heute noch bekannte
Wahlspruch bezeichnender Weise außer seinen eigenen reformpolitischen Bestrebungen auch
die seiner für Ungarn engagierten Zeitgenossen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts —
sowohl der Vorgänger (z. B. Istvän Szechenyi, der bereits an dem Reformlandtag von 1825/27
teilnahm) wie auch der Mitstreiter (z. B. Miklös Wesselenyi) und der Nachfolger (u. a. Lajos
Kossuth, der während der Abschiedsrede v. F. Kölcsey als Berichterstatter zugegen war).

Vgl. damit „die goldenen Zeiten“ in Grubers „Hymnus an Pannonia“. In: Deutschsprachige
Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 125. Die Besprechung des Pannonia-Hymnus siehe Kap. II1/3.

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