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IV. ELEGIE AN MEIN VATERLAND...

Mit außerordentlichem poetischem Sinn für den fesselnden Vortrag
wurden dabei zwischen die Bilder der erfolgreichen Epochen - chronologisch
jeweils richtig — katastrophale Ereignisse der ungarischen Geschichte
kurz eingeblendet: Zwischen den hellen Partien der Landnahme und des
Humanismus sorgen z. B. mörderische Szenen der Verwüstung des Landes
durch die Tataren (1240/41) für spannende Clair-Obscur-Kontraste.
Ähnlicher Weise erscheinen nach dem „goldenen Alter“ der humanistischen
Blüte plötzlich „Berge von Leichen“'* auf dem Schlachtfeld von Mohäcs
(1526), womit die anderthalb Jahrhunderte währenden Grauen der
Türkenherrschaft in Ungarn begannen. Schließlich gedachte der Verfasser
zwischen vollendeter Befreiung der Territorien des Königreichs (1697) und
der begeisterten Stellungnahme des ungarischen Adels für Maria Theresia
(1741) mit resigniert elegischer Stimmung der „sich selbst“ vernichtenden
„blutigen“ inneren „Zwietracht“ in seinem Lande:

Blutig erhob sich, und rasch, die Zwietracht, und schärfte die Klingen
Eines verwandten Geschlechts, um zu erwürgen sich selbst.

Über andere nur gewohnt den Sieg zu erkämpfen
Überwunden noch frey — nicht von dem Schicksal besiegt,

Schwächt den erhaltenen Ruhm, ha! vaterländischer Selbstmord —
Bey dem warnenden Grab bebt noch der Enkel, und schweigt.'’

Es ist höchst beachtenswert, dass der Verfasser in der Fußnote zu diesen lyrisch
besonders authentischen Versen die historischen Dimensionen des in Ungarn
„wütenden Parteigeistes“ und dessen bedrohliche Konsequenzen für Land und
Leute dieses Mal ausnahmsweise vom geschilderten Einzelfall auf die ganze
ungarische Geschichte (von der Begründung des ungarischen Staates unter der
Herrschaft von Stephan dem Heiligen bis zur erlebten Gegenwart) erweiterte:

[...] Seit Stephan dem Heiligen, seit der Stiftung des Reichs, wütheten
ununterbrochen innere Unruhen in unserer Mitte. Es ist eine richtige Bemerkung,
dass vielleicht kein Plätzchen in Ungarn sey, das nicht mit Blut gedüngt wäre; und
mein Gefühl empört sich es zu gestehen, dass es keine Gegend gebe, wo nicht
Bürgerblut die Spur des wüthenden Partheygeistes bezeichnete. Er war es der die
Feinde in das Land führte, der Jahrhunderte lang wüthete und Familien vertilgte,
deren Vorfahren Seegen über das Land brachten. - Wir Nachkommen, Sprösslinge
der Glücklicheren, haben noch immer Wunden zu beweinen, die abermals nur

durch Jahrhunderte vernarben können |[...]!°

Vgl. dazu die Bilder im „Vaterland“-Lied v. S. Bredetzky (Strophe 6) u. deren Besprechung im
Kap. II[/2.

15 Elegie an mein Vaterland, S. 11. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 138.

16 Ebd., Fußnote Nr. 9 des Dichters, S. 22. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1,5. 144.

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