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6. UNGARISCHES LOKALKOLORIT IN DER UNGARNDEUTSCHEN LYRIK

Ha! wie erhebt sich mein Busen! trunken

Von siisser Ahndung; die seligste Zukunft
Enthüllt sich dem Auge. Des Segens Fülle
Verkündet Josephs Antlitz dir, Vaterland!

Des Geistes Hoheit, und sanfte Milde

Des Herzens, strahlen aus seinem Fürstenblicke.
Er wird der erhabenen Weisheit Schutz
Gewähren, und der bekümmerten Tugend

Verdienste lohnen.

Gewiss ändert die Kenntnis der Umstände kaum etwas an dem poetischen
Niveau des Gedichtes. Nur der Zugang dazu wird dadurch erleichtert: Man
weiss nämlich, dass es nicht ausschließlich „Form“ [d. h. Formalität], sondern
auch „Inhalt“ [d. h. eine authentische Aussage] besitzt. Man weiss sogar, was
die fünf Professoren am 20. September 1795 noch nicht wussten, dass ihre
Hoffnungen auf den Palatin Joseph in jeder Hinsicht berechtigt waren.

6. UNGARISCHES LOKALKOLORIT IN DER UNGARNDEUTSCHEN LYRIK

Zur poetischen Authentizität können freilich auch Schilderungen des Ortes,
der Zeit bzw. der unterschiedlichsten zeit- und ortsgebundenen Modalitäten
des Lebens oder gar nur deren Einblendungen in das jeweilige Gedicht in
hohem Maße beitragen. Johann Paul Köffinger, einer der begabtesten
deutschen Dichter der Hauptstadt, lässt z. B. die Abendstimmung in Buda
mit beeindruckenden Bildern seiner Hügellandschaft sowie der Donau und
vor allem mit dem damals noch orttypischen Bild von den Weinreben auf den
Hängen der Ofner Berge’”’ nachempfinden:

Im Abendglanz hebt Buda sich empor,

Und purpurn glühend wallt der Donau Spiegel

Die Rebenhöhn umzieht ein goldner Flor,

Und blauer Duft umschwimmt die niedern Hügel.”®

Unverwechselbare Lokalbezüge weist auch die Epistel an Ign. Frölich, Pest
d. 1. Mai. 1795 von Andreas Friedrich Halitzky auf. Der Verfasser wandte sich
darin im scherzhaft plaudernden, freundlich-geselligen Ton der Episteldichtung

7 Am Anfang des 19. Jahrhunderts galt der Ofner Rotwein noch als der zweitbeste Wein Ungarns.
78 Köffinger, Johann Paul: Abenderinnerung im Auwinkel [1. Strophe]. In: K., J. P.: Gedichte.
Pesth: Matthias Trattner, 1807, S. 59. In: Deutschsprachige Texte, Bd. 1, S. 164.

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