in ihrer klassischen Urform jeweils in die Versmitte gesetzt (BBDBB).” Bei
Bredetzky — wie auch bei Klopstock — hob die sapphische Strophe im ersten
Vers bereits mit dem Daktylus an, der mit seinen arhythmisch pulsierenden
zwei Senkungen neben den vier gemächlich vorbeiziehenden Trochäen
Vers für Vers jeweils um einen Takt weiter gegen die Mitte rückte (DBBBB/
BDBBB/BBDBB), was die ursprüngliche klassische Starrheit des dreifachen
rhythmischen Gleichklangs vollends eliminierte, dagegen die Empfindung
erregt unruhiger Wellenbewegungen vermittelte.
Um 1800 galten unter anspruchsvollen und gebildeten Dichtern bereits
weniger die Stoffe und Ihemen der klopstockschen Dichtung als modern.
Dies trifft besonders im Zusammenhang mit den möglichen Mustern
Bredetzkys zu,” deren verschnörkelt empfindsame Metaphorik mit Gräbern,
Tränen und Klagen bereits eher zeitgenössischen Unterhaltungsinteressen
sentimental gesinnter Leser als den neuen Tendenzen der literaturhistorisch
repräsentativen Dichtung entgegenkam. Umso anregender war aber die
innovative klassizistische Formensprache Klopstocks. Somit repräsentierte
die lediglich rhythmische Anlehnung des ungarndeutschen Bredetzky an
die klopstocksche Dichtung einerseits die offene Aufnahmebereitschaft
der Ungarn für neue dichterische Strukturen der deutschen Poesie,
andererseits aber auch ihre schöpferische Eigenverarbeitung mit neuen
nationalpatriotischen ungarischen poetischen Stoffen. Dabei begnügte
sich Samuel Bredetzky sogar in der Formgestaltung nicht mit der bloßen
Übernahme des rhythmisch modernisierten klassizistischen metrischen
Rahmens. Während im sapphischen Muster von Klopstock die Verse recht
maßhaltend nur mit wenigen Enjambements verkettet wurden, so schuf
ihre nahezu maßlose Anhäufung bei Bredetzky noch modernere (fast schon
antiklassizistische) Spannungen zwischen metrisch genau berechneter
Strophenform und natürlicher Vortrags- und Leseweise bis zur Empfindung
von freirhythmischem Dahinströmen ungeregelter Verszeilen.
Bredetzkys Gedicht stand mit seinem Bekenntnis zu Ungarn und seiner
Offenheit für die deutsche Kultur an der typologischen und genetischen
Nahtstelle der zeitgenössischen deutschen und ungarischen Literatur, mit beiden
aufs Engste verzahnt, gleichzeitig mit mehr oder weniger bewussten Absichten,
in beide Richtungen produktiv-schöpferisch zu vermitteln. Der modernisierte
klassizistische metrische Rahmen, wie er in der deutschen Literatur von Klopstock
entwickelt wurde, hob als formaler Trager der Bredetzky- Ode das enthusiastische
Bekenntnis des ungarndeutschen Dichters zu seinem Vaterland Ungarn auf das
?® Rhythmusschema nach Schlawe, Fritz: Die deutschen Strophenformen. Systematisch-chrono¬
logisches Register zur deutschen Lyrik 1600-1950. Stuttgart: J. B. Metzler, 1972, S. XVIII;
S. 578. Sowie in: F. Sch.: Neudeutsche Metrik. Stuttgart: J. B. Metzler, 1972, S. VIII; 108 S.
29 Vgl. dazu die folgenden Gedichte von Klopstock: „Die tote Clarissa“ (1751), „Mein Wäldchen“
(1778), „Die Verwandelten“ (1782), „Der Frohsinn“ (1784), „Die Unschuldigen“ (1800).