6. PEST-OFEN — , FÜR GANZ UNGERN DAS SEMINARIUM..."
Sie finden hier nicht allein Gelehrsamkeit in allen Zweigen der Wissenschaften,
sondern auch sehr vieles von dem, was man ihre sichtbare Blüthe nennen kann,
allgemeine literarische Cultur und vertrauteste Bekanntschaft mit den neuesten
Erscheinungen oder Produkten der Literatur nach ihrer weitesten Ausdehnung.*°
Wichtiger Bestandteil des kulturellen Lebens in Pest-Ofen war selbst¬
verstandlich auch das nach der Jahrhundertwende tiber einhundert Mitglieder
zählende Theaterensemble des Königlichen Theaters, das sich in beiden
Stadtteilen ebenfalls in hohem Maße an der Kommunikation literarischer
Werte beteiligte, hin und wieder sogar Werke einheimischer Autoren mit
ungarischer Ihematik auf den beiden Bühnen, ja sogar im Buchhandel anbot.°!
Dem schnellen Aufstieg der beiden Städte, ihrer rasch zunehmenden
Einwohnerzahlen und der Konzentration der Bildung und Kultur in Ofen
und Pest ist es zu verdanken, dass sich die bedeutendsten deutschsprachigen
Autoren des Landes im Laufe der Jahre vor und nach 1800 bereits in diesem
hauptstädtischen Zentrum einfanden, hier lebten und wirkten oder zumindest
ihre Werke veröffentlichten. So scheint es keine Übertreibung gewesen zu
sein, wenn man 1805 in den Ungrischen Miscellen behauptete, dass „Ofen
und Pest für ganz Ungern das Seminarium oder Magazin seiner Kultur und
deren Bedürfnisse sind“? Bezeichnend ist auch, dass der von Rösler bei
Hartleben veröffentlichte Kalender von Ofen und Pest für 1809,°° als die neuen
Anfänge für den Aufstieg der ungarischen Literatur in Ofen und Pest bereits
deutlich wurden, innerhalb der beeindruckend genauen und detaillierten
Erörterungen über die beiden Städte rund zweimal so viele deutschsprachige
Schriftsteller als ungarisch schreibende Autoren verzeichnete.°*
Zwischen 1795 und 1810 sorgten in Ungarn deutschsprachige periodische
Schriften in stets zunehmender Zahl für die kontinuierliche Intensivierung
der literarischen Kommunikation zwischen Autoren und Lesern. Dabei för¬
derte eine ganze Reihe von literaturkritischen Besprechungen, Rezensionen
und Aufsätzen über einheimische Werke das poetische Niveau der ungarn¬
deutschen Literatur sowie den Geschmack ihrer Leser. Unter anderen
30 Ebd., S. 76. u. Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 289.
Zum Theaterleben im alten Pest-Ofen siehe Kap. VII, zu den diesbezüglich hier ange¬
sprochenen Fragen vor allem die Kapitelteile VII/3-6. u. VII/8.
[F.]: Pesth und Ofen an sich und ihre Environs. Zwey Briefe an K. S. In: Ungrische Miscellen,
1805, H. 1, S. 82. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 350.
Rösler, Christoph (Hg.): Kalender von Ofen und Pest fiir 1809. Pest: in Commission bei
K. A. Hartleben, [1808].
Von ihnen seien an dieser Stelle nur die unter literaturhistorischen Aspekten bedeutenderen
genannt: von den ungarisch publizierenden Autoren Andras Dugonics (Pest), Ferenc
Verseghy (Ofen) u. Benedek Virag, (Ofen), von den deutschsprachigen Autoren in Pest
Franz Xavier Girzick, Andreas Friedrich Halitzky, Johann Jung, Johann Ludwig Schedius,
Martin Schwartner, in Ofen Vinzenz v. Batthyäny, Franz v. Boros, Johann Paul Köffinger u.
Christoph Rösler; Ebd., S. 43; 75.