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UNTERNEHMENSSTRAFRECHT, GLOBALER WETTBEWERB UND MENSCHENRECHTSSCHUTZ auch der zweiten Steigerungsform ist daher ein regionaler oder — idealiter — globaler common sense der beteiligten Staaten. Dies gilt grundsatzlich auch fiir die Europäische Union, die zwar in Abkehr vom völkerrechtlichen Einstimmigkeitsprinzip auch Rechtsetzung gegen den Willen einzelner Mitgliedstaaten betreiben kann, der aber im materiellen Strafrecht (jenseits der Diskussion um PIF-Delikte) nur eine Anweisungs- bzw. Assimilierungskompetenz, nicht aber eine originäre Strafrechtssetzungskompetenz zukommt. Daher ist es aus unserer Sicht zunächst angezeigt, die Leistungsfähigkeit bestehender materieller transnationaler Regelungen - Stichwort: CSR rules — als Maßstab bei der Auslegung nationalen Rechts zu prüfen, wie dies das oben vorgestellte Dissertationsvorhaben zu strafrechtlichen Implikationen von CSR unternimmt. Die EU hat mit ihrer RL 2014/95 den Versuch gestartet, aufbauend auf ihrem CSR-Verständnis Unternehmen mit Berichtspflichten zu steuern. Das Bemühen, diese Ansätze im Blianzstrafrecht fruchtbar zu machen, steckt noch in den Kinderschuhen - die Konturen der Anknüpfung über ein zeitgemäßes Verständnis von Bilanzstrafrecht zeichnen sich aber bereits ab.” Zweifel bzw. Kritik an der Sachgerechtigkeit eines innerstaatlichen Lösungsansatzes könnten aus zumindest zwei Richtungen kommen: Einerseits der Verdacht mangelnder materieller Einheitlichkeit des Verständnisses transnationaler Standards in den nationalen Rechtsordnungen. Andererseits der Vorwurf ungleicher, gar gezielt selektiver prozessualer Umsetzung. Beides lässt sich als Gerechtigkeitsproblem und, profaner, als Wettbewerbsverzerrung verstehen. Dieses schon aus dem Individualstrafrecht bekannte Problem verstärkt sich im Kontext der Diskussion um Unternehmenssanktionierung. Zwar ist die Möglichkeit einer (im weitverstandenen Sinne) strafrechtlichen Sanktionierung von Unternehmen zunehmend verbreitet, aber keineswegs in allen Rechtsordnungen anerkannt. Zugleich ist aber auch das sanktionierende Recht nicht in allen Rechtsordnungen gleichermaßen klar dem Strafrecht zugeordnet. So entfalten bei der Unternehmenssanktionierung, die (als Sanktion im engeren Sinne) notwendigerweise maßgeblich durch Geldbußen geprägt ist, etwa punitive damages ähnliche Wirkung. Gleichwohl liegt aber gerade bei der Verfolgung von Unternehmenskriminalität der Schwerpunkt oftmals nicht oder nicht allein in der sühnenden Sanktionierung, sondern in der spezialpräventiven Besserung durch Maßnahmen zur Unternehmenscompliance bis hin etwa zur Bewährungsaufsicht durch Monitore. 2 Vgldazu näher Nihad Amara - Richard Soyer, Soft law, CSR und Unternehmensstrafrecht, Zeitschrift für Kultur und Kollektivwissenschaft Jg. 7, Heft 1/2021, 309. « 95 s