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WEGE Sonne schon droht unterzugehen und bei aufsteigendem Nebel und zunehmender Dámmerung die Konturen der Naturbilder allmáhlich verschwimmen. Kurz vor dem Ziel hört man schließlich lautstark das Posthorn des Kutschers ertönen, um Ankunft und Empfang am Reiseziel zu verkünden. Ohne Zweifel sind wir, Leser des 21. Jahrhunderts, dank dieser Verse bzw. ihrer authentisch vermittelten Bilder in all die momentanen Erlebnisse dieses Weges vom 10. 10. 1774 versetzt. Doch wird uns dabei merkwürdiger Weise wesentlich mehr als die heute bereits nahezu exotisch anmutende Kutschenfahrt zuteil, indem wir gleichzeitig den 25-jährigen Goethe, die Persönlichkeit des jungen Mannes zu jener Zeit aus allernächster Nähe vielseitig miterleben, dabei sogar das, was er an dem entsprechenden Herbstnachmittag von sich und von der Welt hielt. Diese Art unteilbare Zweiheit der lyrischen Attitüden lässt schon der energische Aufforderungssatz, mit dem das Gedicht von der Heimfahrt anhebt, nachempfinden. „Spude dich, Kronos!“ — lautet es hier. Das heifst einerseits ohne jeden Zweifel: Die Zeit ist dran, man beeile sich, der Weg nach Hause muss schnellstens geschafft werden. Da geht es aber gleichzeitig doch noch auch um viel mehr, nicht bloß um den etwa zweistündigen Weg nach Frankfurt, sondern auch um Goethe selbst, um sein Leben, seinen augenblicklich erlebten Lebensweg. In einem rührenden Briefan die Mutter bekannte er, dass damals das „Unverhältnis des engen und langsam bewegten bürgerlichen Kreyses zu der Weite und [bitte beachten Sie das folgende Wort] Geschwindigkeit“ seines „Wesens“ ihn beinahe „rasend“ gemacht habe.? Von den Leiden dieser Art zeugt eine ganze Reihe von poetischen Bekenntnissen des Dichters bereits vor der Entstehung des Gedichts An Schwager Kronos. Dann soll aber der schrille Aufruf am Gedichtanfang nicht nur Pferde und Kutscher angetrieben haben. Dann ging es dabei auch, ja vor allem darum, die Beseitigung der riesigen Spannungen zwischen individuellen Veranlagungen und objektiven Welterlebnissen endlich hinter sich haben zu wollen. Das gleichzeitige Erlebnis der beiden Wege erstreckt sich auf alle Details der kurzen Fahrt nach Frankfurt. Die Lebensfahrt-Empfindung schwingt bereits in der ganzen „bergab“-Strophe mit, wo uns bis vor deren letztem Vers eigentlich nur lauter Konkreta des bergab rasenden Wagens vor Augen geführt werden: * Goethe an seine Mutter, den 11. 8. 1881. In: Goethe [Johann Wolfgang von]: Briefe und Tagebücher. Bd. 1. Hg. v. Hans Gerhard Gräf. Leipzig: Insel-Verlag, o. J., Nr. 256, S. 339. + 305 +