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BEGEGNUNGEN MIT DER DEUTSCHEN LITERATUR dies mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, so widerspricht dem gewiss nicht, dass auch der auf den Frühklassiker konzentrierende Ungar im Grunde genommen zu Goethes Faust zeit seines Lebens kein adáguates produktives Verháltnis entwickeln konnte. Andererseits durfte auch Kazinczys individuelle Lesart und Auswahl des Strum-und-Drang-CEuvre von Goethe die Wege zu der fiir die ungarische Literatur so bedeutenden Rezeption seiner frühklassischen Werke keineswegs gehindert haben.°! Man beachte dabei, dass Kazinczy von Goethes Dramendichtung aus jener Zeit u. a. Clavigo und Stella ins Ungarische übersetzt hatte und nicht Götz von Berlichingen. Mit dem Goethe-Maßstab der „ganz ruhigen Größe in griechischer Grazie — wie Kazinczy diesen verstand — wurde selbstverständlich äußerst viel von einer angehenden Literatur und ihren Schriftstellern verlangt. Kazinczy vertrat nämlich nach der Begegnung mit der Iphigenie mit einer Art kategorischen Imperativs, „dass unter den Produkten der schönen Kunst durchaus nicht schön ist, was nicht durchaus schön ist“, und mit den folgenden seither immer wieder zitierten Worten an den damals zwanzigjährigen Sändor Bölöni Farkas ermahnte er eigentlich alle seine Zeitgenossen in Ungarn, sich mit dem Vorbild Goethe von der trivialen Unterhaltungsliteratur zu trennen: „Wer Kotzebue mit Freude gelesen hat, ist für immer verloren. Mach dich mit Goethe vertraut und mit Goethe, und wieder mit Goethe. Mein Abgott ist er in allem [...]. Anderen glaube mit Vorbehalt. Goethe, in dem eine griechische Seele wohnt, glaube blindlings [...]“* Von der Warte seines Goethe’schen Klassizismus wetterte er auch gegen die alles überflutende Mode des Sentimentalismus, dabei auch Schiller nicht schonend: „Es schauerte mich, als Gregor Berzeviczy den Apfel der Schönheit Kosegarten reichte. Mein Schriftsteller [unter den Deutschen, L. T.] ist Goethe und nach ihm, allerdings weit hinter ihm [stehen, L. T.] Schiller und Matthisson.“® Trotz der autoritären Wirkung von Kazinczy wies das Goethebild aber in Ungarn bereits um 1800 manche erheblichen Abweichungen von dem des ungarischen Klassizisten auf. Im Laufe der Entwicklung veränderten sich und «62 61 Schon in Goethes Sturm-und-Drang-Jahren wurden ja von Viktor Hehn über Herrmann Hettner und Emil Staiger bis zum neuen „Goethe-Handbuch“ eine ganze Reihe von Anzeichen bzw. viele poetische Textstellen, jasogar manche Werke der zumindest möglichen klassischen Überwindung der Genie-Phase nachgewiesen. Kazinczy, Ferenc an Frau Miklós Kazinczy, Széphalom, den 18. Februar 1809. In: Kazinczy, Ferenc: Levelezése [Briefwechsel]. Bd. 6, Nr. 1423, S. 238. (= Deutschsprachige Texte aus Ungarn Bd. 3, S. 338.) Kazinczy, Ferenc an István Sárközy, Ér-Semlye, den 20. Dezember 1805. In: Kazinczy, Ferenc: Levelezése [Briefwechsel]. Bd. 3, Budapest: MTA, 1892, Nr. 845, S. 484. Kazinczy, Ferenc an Sándor Bölöni Farkas, Széphalom, den 22. Oktober 1815. In: Kazinczy, Levelezése [Briefwechsel]. Bd. 13, Budapest: MTA, 1903, Nr. 3024, S. 241. Kazinczy, Ferenc an den Grafen József Dessewffy, Széphalom, den 17. Januar 1811. In: Kazinczy, Ferenc: Levelezése [Briefwechsel]. Bd. 8, Budapest: MTA, 1898, Nr. 1912, S. 280. 6: 8 6: a 6: > 6: a + 285 +