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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE Intellektuellen über die besonderen Eigenheiten der ungarischen Sprache"? sowie über die tatsächlich hervorragenden poetischen Qualitäten der ungarischen Lyrik®! in den zeitgenössischen deutschen Zeitschriften bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts, ja sogar darüber hinaus, eigentlich in keinem Fall mit adäquaten deutschen Übersetzungen belegt werden. Man bedenke dabei, dass die kritischen Worte von Robert Gragger über die sprachlich und poetisch „sehr mangelhaften“ Übersetzungen der ungarischen Poesie (über diese „Zerrbilder“, — wie er sich über sie äußerte — „deren Verfasser nicht einmal mit den Regeln der deutschen Grammatik vertraut“ waren) ihre Aktualität sogar noch 1919 nicht verloren haben, als er in seiner öffentlichen Vorlesung über „die ungarischen Kulturwerte“®? diese seine Kritik folgendermaßen einleitete: Ein in Deutschland nicht genügend geschätzter Kulturwert Ungarns ist seine Literatur. Sie ist leider nur in sehr mangelhaften Übersetzungen bekannt. Manche dieser Übersetzungen muten fast wie ungewollte Parodien an. Es gehört zu den wunderbarsten und rätselhaftesten Erscheinungen der Weltliteratur, dass z. B. die Deutschen, Franzosen, Engländer und Italiener so rasch das mächtige Genie und die Größe Petöfis erkannt haben auf Grund von Übersetzungen, die selbst der, der sie verbrochen hatte, später mit Entsetzen ansah.°” ®° Man lese die Worte (vermutlich von Karl Georg Rumy) im Neuen Teutschen Merkur, 1802, Heft 4, S. 269 f, zitiert in Schnittpunkte, Bd. 1, S. 280. Zu diesen spezifischen Eigenheiten gehört u. a. der rhythmische Freiraum im Ungarischen, die Hebungen und Senkungen der Verse mit betonten und unbetonten Silben oder auch (wie in der alten Dichtung der Griechen und Römer) mit langen und kurzen Silben zu differenzieren. Kazinczy bat z. B. Ferenc Toldy, während seines geplanten Besuchs bei Goethe einige ungarische Hexameter zu deklamieren. Freilich kam es in der kurzen halben Stunde [sogar in der Gesellschaft eines Dritten, eines deutschen Arztes] dazu nicht. Es wäre auch nicht unbedingt nötig gewesen: Goethe war ja über diese Eigenheit der ungarischen Sprache — wenn nicht durch die beiden oben genannten NTM-Aufsätzen — so von Prof. Friedrich August Wolf (Homer-Forscher in Halle) bereits seit 1795 informiert. Siehe Goethes Gespräche. Biedermannsche Ausgabe. Bd. 1, Nr. 1200. München: DTV, 1998, 1027 S., hier S. 594. Siehe u. a. in der begeisterten Würdigung der lyrischen Kunst von Mihály Csokonai Vitéz (vermutlich ebenfalls von K. G. Rumy) im Neuen Teutschen Merkur, 1803, Heft 7, S. 236 f; 1804, Heft 7, S. 171 f, zitiert in Schnittpunkte, Bd. 1, 5. 285 u. S. 286. Gragger, Robert: Vortrag über die „Kulturwerte Ungarns für Deutschland“, gehalten am 20. 3. 1917 im Dresdner Literaturverein. Handschrift im Gragger-Archiv: Bd. Vorträge, S. 70. In: Fachbibliothek Finnougristik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Text dieses Gragger-Vortrags wurde v. Paul Kärpäti herausgegeben und kommentiert in BBH, Bd. 5, Berlin / Budapest: 1990, S. 219-242, hier S. 237 f. Ein durchschnittlich höheres Niveau erreichten die deutschen Nachdichtungen der ungarischen Lyrik eigentlich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als deutsche Literaten mit lyrischer Begabung oder gar deutsche Dichter (wie u.a. Annemarie Bostroem, Uwe Gressmann, Stephan Hermlin, Franz Fühmann, Günther Deicke) unterstützt mit Interlinearübersetzungen und von regelmäßigen Beratungen mit Experten der ungarischen Literatur (z. B. mit Paul Karpati, der von den sechziger Jahren ein halbes Jahrhundert hindurch die deutschen Dichter betreute) eine ganze Reihe von hervorragenden deutschen Nachdichtungen aus der ungarischen 3 32 3 a + 276 +