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DIE FRIEDENSBOTSCHAET DES MIKLÓS RADNÓTI — DEUTSCH dem Wege der Suche nach einer differenzierteren künstlerischen Wahrheit, nach poetischer Klárung, Láuterung und Selbstfindung. Deshalb sind die Nachdichtungen Fühmanns nicht bloß verdeutschte fremde Gedichte, sondern auch aussagekräftige Produkte der nachschöpferischen poetischen Selbstgestaltung. Eine besondere Bedeutung kam dabei der eigenständigen künstlerischen Verarbeitung der Friedensthematik und -metaphorik von Miklös Radnöti zu, indem sie indem deutschen Nachdichter eine Art Selbstbefreiung auslöste. Denn die Poesie von Radnöti war nicht von Feindbildern getragen. Sie sandte aus der Vergangenheit des Grauens und der Gewalt das „schneefarbene Bewusstsein“ des inneren Friedens, des sich Selbstbewahrens, den Frieden der „Unschuld“, des „reinen Wortes“, den keine „Angst“ „berußen“ konnte. Radnötis Glaube an den Frieden und die Zukunft hatte einen Sinn, nicht nur: denn „einst wird Frieden sein“ — der Dichter wusste ja seit 1933, dass er zum Opfer fällt-, sondern weil dieser Glaube der unantastbare Frieden selbst war, der für die Zukunft, für die Menschen kommender Zeiten behütet und beschützt werden musste, um ihnen allen die „Chancen“ zu geben, auch ihren Frieden zu finden. Nur so versteht man diesen Frieden des Miklös Radnöti - im Kanonendonner, Bombenhagel und beim Gewaltmarsch — nur hauchdiinnes poetisches Gewebe, „jetzt noch“ vorerst „säuglingsgroß“; aber dieses „noch“ enthält auch die felsenfeste Überzeugung, dass dieser Frieden, nun gehütet, verborgen, einst groß wird, Besitz einer glücklichen Menschheit, wie dies mittels der Metaphorik eines Papierschnitzels*® vergegenständigt wurde: Schlummert der Friede so sanft in dem Schlupfloch hoch in den Bergen. Säuglingsgroß ist er jetzt noch, und ein zahmes Reh stillt ihn täglich. Über die Höhle ein Netz spinnt die Spinne, ihn zu verbergen. Diese Worte verdeutlichen besonders genau den innersten Gehalt der Friedenspoesie von Miklös Radnöti, die für Franz Fühmann nicht weniger bedeutete als die kathartische Befreiung von allen bedrückenden, noch vorhandenen Resten wirrer Ahnungen und dunkler Zweifel aus der Vergangenheit. Somit erfolgte zwanzig Jahre nach dem Friedensabkommen der Großmächte die läuternde poetische Befreiung des Dichters durch die Friedensbotschaft des Miklös Radnöti. 48 Radnöti, [Papirszeletek], Ansichtskarten, S. 67.