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DIE FRIEDENSBOTSCHAET DES MIKLÓS RADNÓTI — DEUTSCH Kriegsende waren vorerst nur mögliche Mörder. Sie hatten noch eine, wenn auch vielleicht letzte, Chance, ihr Menschenformat zu bewahren. Der Glaube daran wurde bei Radnöti nie aufgegeben: Sie hätten noch die Chance, Mensch zu werden, auch in ihrem beinahe schon zerstörten Hirn schläft ein Rest Vernunft, zur Zukunft offen, würdig der Menschheit. Also lasst uns hoffen! Radnötis „hoffen“ galt Fihmann: Der aus der finsteren Gegenwart des ungarischen Dichters hervorleuchtende Zukunftsglaube sprach ganz unmittelbar auch den Verfasser des Judenautos an. Radnöti sandte ihm die Friedensbotschaft, die sämtliche verwirrende Alpträume, die in den sechziger Jahren aus der Vergangenheit Fühmanns noch aufstiegen, läuternd zu lösen im Stande war. Die bedrückende Vergangenheit war noch gegenwärtig. Bis dahin konnten weder die Ernüchterung in der Zeit der Gefangenschaft noch die erklärende Selbstdarstellung der ersten Erzählungen bzw. das grelle Hell-Dunkel der eigenen Gedichte aus den fünfziger Jahren die inneren Spannungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart restlos aufheben. Noch 1973 gedenkt Fühmann in den Zweiundzwanzig Tagen, vor den Brücken von Budapest stehend, früherer wirrer bejahender Stellungnahmen zu ihrer Sprengung und bekennt sich somit zu ungetanen Schulden des einst Unbewussten: „Ich konnte nicht nachempfinden, ich hatte ja Budapest nie gesehen, und wenn ich es gleich gesehen hätte, ich war Faschist und schwelgte in einem „grade darum!“, das ich für höchst heroisch hielt [...]“ Hierbei reichte die eigene Dichtung nur aus, die dunkle Ahnungs- und Beziehungslosigkeit in der Vergangenheit z. B. mittels der besonders aussagekräftigen poetischen Interpretation eines surrealistisch anmutenden Karl Hofer-Bildes (Die schwarzen Zimmer) aus den zwanziger Jahren“ oder die totale Unwissenheit in den Jahren der totalen Diktatur in Deutschland mittels mancher Märchen-Gedichte (z. B. In Frau Trudes Haus”) nachempfinden zu lassen. Viele andere seiner Gedichte kontrastieren recht eintönig-schematisch Abscheu und Begeisterung — mögen sie oft auch differenzierter zum Ausdruck gekommen sein, als die Durchschnittspoesie dazu in jenen Jahren fähig war. Die Zäsur im eigenen Lebenslauf, die Umstrukturierung und Umwertung der eigenen Einstellung zur Welt und gleichzeitig zu sich selbst schien viel problematischer zu sein, als dass man ihnen mit solchen Versen hätte gerecht werden können: # Fühmann, Zweiundzwanzig Tage, S. 19. “* Fiihmann, Franz: Gedichte und Nachdichtungen. Rostock: VEB Hinstorff Verlag, 1978, S. 22-23. 45 Ebd., S. 38.